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Heft 281, Oktober 2016

 


Artikel Seite
Aktuelle Meldungen 589
Entscheid im Informalturnier 2014, Abteilung Hilfsmatts in 2-3 Zügen 591
Entscheid im Informalturnier 2014, Abteilung Hilfsmatts ab 3,5 Zügen 595
Entscheid im Informalturnier 2015, Abteilung Mehrzüger 598
Bericht vom 59. WCCC in Belgrad 604
Thomas Brand: Klaus Wenda zum 75. Geburtstag 607
Urdrucke 608
Lösungen der Urdrucke aus Heft 278, April 2016 618
Bemerkungen und Berichtigungen 634
Fritz Hoffmann: Wie wird man ein Problemlieferant? 636
Fritz Hoffmann: Damenflügel 638
Bernd Gräfrath: Schöne Ruinen: Über anrüchige Hilfsmatts 639
Bernd Gräfrath: Eine Forschungsreise durch das Minimummer-Land 642
Werner Keym: Sensationeller Retro-Rekord: längste eindeutige Rückzugfolge 644
Werner Keym: Ein berühmtes Retroproblem: männlicher oder weiblicher Autor? 645
Thomas Maeder: Dreizüger-Revue (18): (Keine) Zyklische Dualvermeidung 646
Turnierberichte 646

 

Schöne Ruinen: Über anrüchige Hilfsmatts
von Bernd Gräfrath (Mülheim/Ruhr)

Im Märchenschach wird die Legalitätsforderung gemeinhin als verfehlt betrachtet; Stichwort: "legal, illegal, sch{...}egal!" Zwar läßt sich die Legalität in Märchen-Retros explizit thematisieren, aber ansonsten will man die Beschränkungen des orthodoxen Schachs im Märchenschach hinter sich lassen. Trotzdem gibt es weiterhin Nachklänge des Orthodoxen: Wenn die Wahl besteht, wird eine Übereinstimmung mit traditionellen Vorgaben bevorzugt, und dafür wird manchmal einige Mühe aufgewandt. Zur Illustration will ich hier einige Bemerkungen aus dem schönen Buch Manche mögen{\grqs weiß} von Franz Pachl, Manfred Rittirsch und Markus Manhart (Potsdam: Udo Degener Verlag 2016) heranziehen. Bei einem Serienzugmatt mit einem Ubi-Ubi in der Diagrammstellung berichtet Manfred von einem "Kampf um Quasilegalität" (Seite 170), und bei einem anderen Serienzugmatt (mit einem Nachreiterhüpfer, einer Rose und einem Zebrareiter) gehörte eine "quasilegale Stellung" (Seite 213) zu den gewünschten (und erreichten!) Konstruktionszielen. Manchmal wird dieses Ziel angestrebt, ohne diesbezüglich erfolgreich zu sein. So schreibt Manfred über ein Hilfsmatt mit der Märchenbedingung Isardam und einem ganzen Märchenzoo mit Doppelgrashüpfern, Kamel, Nachreitern und T/L-Jägern (Seite 436): "Um ein Haar hätte ich die Stellung auch noch legal (d. h., nach den Regeln der verwendeten Märchenbedingung und unter Berücksichtigung der Konvention, daß alle Märchenfiguren durch Umwandlung entstanden sind, aus der Partieanfangsstellung erspielbar) hinbekommen, was unter der Isardam-Bedingung - leider! - besonders schwierig ist, weil die Bauern beider Parteien nur mit Mühe aneinander vorbeikommen." Trotzdem wird niemand die Veröffentlichung dieses Problems kritisieren - im Gegenteil: Es erhielt im betroffenen Turnier sogar den 1. Preis!

Eine andere Konvention, die auch noch im Märchenschach nachwirkt, ist die bevorzugte Vermeidung von offensichtlichen Umwandlungsfiguren (nicht im Sinne von Märchenfiguren, sondern etwa von einem dritten Turm einer Farbe, der allerdings ganz legal durch Bauernumwandlung entstehen konnte). Manfred spekuliert bezüglich eines Hilfspatts mit den Märchenbedingungen Andernachschach und Madrasi, das "nur" den 3. Preis erhalten hatte: Vielleicht haben den Preisrichter die drei schwarzen Türme ein wenig gestört? Manfred stören diese dagegen "überhaupt nicht" (Seite 274).

Hilfsmatts galten früher als Märchenschach, heute gelten sie allgemein als orthodox. Wie wirken sich die orthodoxen Konventionen hier aus? Wenn selbst im Märchenschach die Illegalität der Diagrammstellung und die Anwesenheit von offensichtlichen Umwandlungsfiguren im Zweifelsfall lieber vermieden werden, wird das beim orthodoxen Hilfsmatt erst recht relevant sein. Aber auch hier müssen solche Fragen nicht das letzte Wort haben: In der Gesamtabwägung fallen sie vielleicht nur wenig ins Gewicht. Im Folgenden will ich einige orthodoxe Hilfsmatts vorstellen, die unsere Toleranz austesten. Auf Reaktionen bin ich gespannt!

A) László Talabér

FEENSCHACH 1954

wKh8, wTa4, wLb4d5, wBd2e4g4a5c5h7, sKf4, sDf2, sTd1g5, sLf1c3, sSh6e8, sBg2a3g3c4d4a6c6e6

h#3* (10+16)

Gegen die Lösung von Problem A gibt es keine formalen Bedenken: 1.- L:c3 2.Ke5 T:c4 3.Df4 L:d4#. Neben dieser Lösung in 2,5 Zügen gibt es aber auch noch ein intendiertes Satzspiel in 2,0 Zügen: 1.d:e3 \ep{}+ d4 2.c:d3 \ep{}+ L:c3#. Man könnte zusätzlich darüber diskutieren, ob bei der Forderung ausdrücklich auf den Retro-Aspekt hingewiesen werden muß: Der schwarze En-passant-Schlag ist nur erlaubt, wenn bewiesen werden kann, daß der letzte Zug von Weiß der Doppelschritt des zu schlagenden weißen Bauern war. Das gelingt in einem bestimmten Sinne, wobei allerdings noch ein anderer Retro-Aspekt herangezogen werden muß: Der letzte Zug von Weiß kann zum Beispiel nicht ein Schlag g6:h7 gewesen sein, weil noch alle 16 schwarzen Steine auf dem Brett sind. Aber wenn man schon die Retro-Perspektive einnehmen muß, dann kann nicht ignoriert werden, daß zur Erreichung der schwarzen Bauernstruktur nicht genug weiße Schlagobjekte zur Verfügung standen: Die schwarzen Bauern haben 7 mal geschlagen, es fehlen aber nur 6 weiße Steine! Das Problem ist damit zumindest in seinem Wert beeinträchtigt, oder?

B1) Ztlatko Mihajloski

Die Schwalbe 2011

Spezialpreis

wKf1, wLh3, sKf3, sDa6, sTe3g3, sLf4g4, sSh5, sBf2h2d3d6g6d7

h#5 2 Lösungen (2+13)

Problem B1 erhielt vom Preisrichter Eckart Kummer einen Spezialpreis, obwohl er zu berücksichtigen hatte, daß Weiß keinen letzten Zug hat: Sowohl dem Komponisten als auch den Lösern war das zunächst entgangen. Lösungen: 1.Ke4 Lg2+ 2.Tgf3 Lh3 3.Lg3 Kg2 4.Tf4 Kf1 5.Kf3 Lg2#; 1.Le6 Lf5 2.Tg4 L:g6 3.Lg3 Lf5 4.Tf4 Lh3 5.Lg4 Lg2#.

B2) Ztlatko Mihajloski

Die Schwalbe 2011

Spezialpreis

wKf1, wLh3, wBe6, sKf3, sDa6, sTe3g3, sLf4g4, sSh5, sBf2h2d3c5d6g6e7

h#5 2 Lösungen (3+14)

Der Komponist lieferte danach noch eine "legale" Version, die allerdings unschöne 3 Steine mehr benötigt: B2. Lösungen: 1.Ke4 Lg2+ 2.Tgf3 Lh3 3.Lg3 Kg2 4.Tf4 Kf1 5.Kf3 Lg2#; 1.L:e6 Lf5 2.Tg4 L:g6 3.Lg3 Lf5 4.Tf4 Lh3 5.Lg4 Lg2#. Eckart schrieb zur Illegalität der Stellung von B1 (zitiert nach dem Kommentar zu P1271072 in der PDB): "Das Lösen und auch das Verständnis der vorliegenden Aufgabe ist [...] in keiner Weise beeinträchtigt dadurch. Um die Legalität herzustellen, musste der Autor gravierende Einbußen an Eleganz und Ökonomie hinnehmen [...]. Dabei hatte er doch schon "Künstlerpech" durch die Notwendigkeit der sD - ein sL hätte gereicht und ein sB hätte dadurch eingespart werden können, doch dieser sL wäre eine Umwandlungsfigur gewesen! Wie auch immer, ich entschied mich für die provokante spezielle Auszeichnung der ursprünglichen (illegalen) Version. Die Auszeichnung ist jedoch ebenso für die oben erwähnte (legale) Korrektur gültig!" Sollte man vielleicht provokativ noch weiter gehen und die schwergewichtige sDa6 durch einen sL ersetzen und damit auch noch den sBd6 einsparen?

C) Theodor Steudel

Problemkiste 1996

wKh5, wLb8, wBc2b4g4h4, sKa6, sLa8, sBb5b6b7g7

h#5 (6+6)

Problem C stellt einen anderen Aspekt zur Diskussion: Wie wichtig ist die Intention des Autors? Das Problem wurde innerhalb eines Aufsatzes veröffentlicht, der den Titel "Doppelexcelsior im Fünfzüger" trug, und es zeigt dieses Thema. Lösung: 1.g5 c4 2.g:h4 c5 3.h3 c6 4.h2 cxb7 5.h1=S bxa8=D#. Die Diagrammstellung mit der Kombination sLa8/sBb7 ist offensichtlich illegal, aber anscheinend ist das vom Komponisten Theodor Steudel bewußt in Kauf genommen worden. Macht das einen Unterschied bei der Entscheidung, ob die Illegalität akzeptabel ist?

D1) Gerhard Pfeiffer

Die Schwalbe 1985

Spezielle ehrende
Erwähnung

wKh1, wBg2, sKa8, sTb1, sLe1, sSb7b8, sBa2b2c2d2e2e3g3a4c6d6

h#9 (2+15)

Problem D1 zeigt ein Thema, das mit legaler Stellung noch nicht dargestellt werden konnte, nämlich das Oudot-Thema: In einem (legalen) orthodoxen Hilfsmatt wandeln sich drei schwarze Bauern in Damen um. Gerhard Pfeiffer benötigt 10 schwarze Bauern in der Diagrammstellung; aber sollten wir uns nicht einfach freuen, daß er dem Oudot-Thema so nahe kam? Lösung: 1.d1=D Kg1 2.Dd5 Kh1 3.Df3 g:f3 4.a1=D f4 5.Da2 f5 6.De6 f:e6 7.c1=D e7 8.Dc5 e8=S 9.Da7 Sc7#.

D2) Reinhardt Fiebig

harmonie 2005

Besonderer Hinweis

wKb1, wBa2, sKh8, sTd1, sLc1, sSg7g8, sBe2f2g2a3d3c4h4f5e6

h#9 (2+14)

Natürlich wäre es besser, wenn das Thema in legaler Stellung erreicht würde; und inzwischen gibt es sogar schon eine Darstellung mit nur 9 schwarzen Bauern: D2 von Reinhardt Fiebig. Lösung: 1.e1=D Ka1 2.Dc3+ Kb1 3.Db3+ a:b3 4.f1=D b:c4 5.Df4 c5 6.Dd6 c:d6 7.g1=D d7 8.Dg6 d8=S 9.Dh7 Sf7#. Preisrichter Eckart Kummer kommentierte harmonie 89 vom März 2007, Seite 8): "Eigentlich nur eine geschickte Version des 10sB-Problems von Gerhard Pfeiffer [...]. Aber aus sportlichen Gründen (nur ein Bauer trennt uns noch von der Darstellung des Oudot-Themas!) sollte diese Stellung im Rahmen dieses Preisberichts dokumentiert werden - daher die ungewöhnliche Auszeichnung." Eckarts "ungewöhnliche Auszeichnung" lautete übrigens "Besonderer Hinweis", was in der PDB dann zu "Spezielle Erwähnung" wurde. Nebenbei bemerkt: Was über ein Diagramm geschrieben werden darf und soll, ist ein eigenständiges Thema, das ich hier nur ganz kurz ansprechen kann: Im Schwalbe-Heft 277 vom Februar 2016 (Seite 403) wurde das Fiebig-Problem mit der Angabe "nach Gerhard Pfeiffer" zitiert ...

E) Peter Kniest

feenschach 1972

5. Lob, 25. Thematurnier

wKa1, wBc2, sKe5, sLh8, sSa3, sBa4

h#6 (2+4)

Mit Problem E gelangen wir auf ein noch anrüchigeres Gebiet: geduldete Duale! Das Problem nahm an einem Thematurnier zu "entferntem Platzwechsel" teil und erhielt vom Preisrichter Theodor Steudel ein 5. Lob. Angesichts der Lösung kann man sich wundern, daß das Problem überhaupt in den Preisbericht aufgenommen wurde: 1.Kd4 c4 2.Kc3 c5 3.Sc4 c6 4.Se5 c7 5.Kb3/b4 c8=D 6.Ka3 Dc3#. Hier handelt es sich also nicht bloß um einen etwas kontroversen Umwandlungsdual im finalen Mattzug und auch nicht um einen sogenannten "bulgarischen" Dual im letzten Zug eines Selbstmatts, sondern um einen eigentlich disqualifizierenden Dual mitten in der Lösung. Darf man angesichts des schönen thematischen Platzwechsels von sKa3 und sSe5 einfach darüber hinwegsehen? Der Preisrichter scheint diesbezüglich eine etwas legere Einstellung eingenommen zu haben (die er als Komponist von Problem C schon bezüglich der Illegalität der Diagrammstellung an den Tag legte). Zur Rechtfertigung könnte er sich vielleicht auf den Aufsatz "In our art as in all arts" von Shlomo Seider berufen feenschach 67 vom November 1983, S. 202-208), in dem es am Ende - in der deutschen Kurzfassung von A. S. M. Dickins und bernd ellinghoven - heißt: "Ich wage [mich] sogar noch einen Schritt weiter (und mache mir damit zweifellos nicht Wenige zum Gegner) und meine, daß nicht nur vollendete Kompositionen, sondern auch Skizzen, Schemata von Komponisten als Kunstwerke gezeigt, veröffentlicht werden könnten. Wenn wir schon "Kunst" machen, dann sollten wir uns auch als "Künstler" benehmen."

F) Wolfgang Pauly

Adeverul Literar si
Artistic 1935

wKa1, wBb2e5h5, sKh3, sLh2g4, sSg3h4, sBe3f3a4d4e4h6

h#5 (4+11)

Nun stimmt es zwar, daß man in Museen auch schon einmal Skizzenbücher von großen Künstlern zu sehen bekommt; und es ist oft interessant zu sehen, wie die Vorformen eines großen Gemäldes aussahen. Aber andererseits gibt es bei Skizzen und Gemälden auch kein klares Korrektheitskriterium, wie das bei Schachproblemen der Fall ist. Sehen wir uns zur Illustration das nebenlösige Problem F an. Intendierte Lösung: 1.Ld7 e6 2.f2 e:d7 3.f1=L d8=S 4.Le2 Se6 5.Lg4 Sf4#. Schön und gut: Da hat der große Wolfgang Pauly 1935 eine nette Kleinigkeit komponiert. Aber das Problem hat auch die folgende (dualistische) Nebenlösung: 1.e2 e6 2.f2 e7 3.Kg2 e8=D 4.Kf1 Dc6 5.Ke1 Dc1#. Ist deshalb das Problem völlig wertlos? Wenn Pauly die Nebenlösung rechtzeitig entdeckt hätte, hätte er das Problem sicherlich nicht veröffentlicht. Schon aus historischen Dokumentationsgründen sind wir aber froh, daß es in der PDB zu finden ist. Und können wir eventuell noch weiter gehen? Darf man zum Beispiel in einem Aufsatz nicht bestimmte unfertige Entwürfe zeigen, deren interessante Themen noch nicht korrekt dargestellt werden konnten? (Bei klassischen Retros mit der Forderung "Löse auf!" werden Duale ja auch akzeptiert, weil komplette Exaktheit zu viel verlangt wäre.) Die Löser würden sich allerdings wohl beschweren, wenn solche Entwürfe in den Urdruckabteilungen veröffentlicht würden. Oder hätte dann die Nebenlösungssuche (für Nicht-Computernutzer) vielleicht sogar einen besonderen Reiz? Landschaftsgärtner, die sich wie Hermann Fürst von Pückler-Muskau am Vorbild des englischen Gartens orientieren (vgl. seine Andeutungen über Landschaftsgärtnerei von 1834), beziehen manchmal Ruinen in ihre Planungen ein, wenn sie schöne Aussichten bieten. Vielleicht sollten wir das auch?

 


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