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Mein lieber Schwan...
von Michael Burghardt, Berlin/Essen
Am Sonntag, dem 10. Februar 1924, fand in Essen auf Einladung von Herrn Anton Trilling (1892-1947) die Gründungsversammlung der 'Vereinigung der Problemfreunde' statt, von der ein Gruppenfoto erhalten geblieben ist. (Dieses und weitere aufschlußreiche Bilder zum Thema sind auf der Homepage vom SF Ralf Krätschmer - www.berlinthema.de - einsehbar)
Folgende Meldung aus der Schach-Ecke (geleitet von Wilhelm Maßmann) im Essener General-Anzeiger (vom Sonntag, dem 17.2.1924) kündete vom vollzogenen Ereignis:
"Schwalbe" Vereinigung von Problemfreunden
Sonntag, den 10. Februar 24, wurde in Essen, Restaurant 'Zum
Schwanen' (A. Rolf), Witteringsplatz, ein Problemklub
(Schule) gegründet. Zweck: Kameradschaftliche Beziehungen
unter den Problemfreunden herbeizuführen und zu unterhalten,
insbesondere dem Problemfach durch Schulung, Anregung und Werbung
Meister heranzubilden, um ihm die ihm gebührende Verbreitung
und Anerkennung zu verschaffen. Nähere Auskunft an
Interessenten erteilt bereitwilligst Ant. Trilling, Essen,
Witteringstr. 56.
SF Michael Burghardt, in Essen-Holsterhausen, neben dem Stadtteil Rüttenscheid gelegen, aufgewachsen, hatte sich nach Absprache mit unserem 1. Vorsitzenden Hans Gruber, Mitte Februar 2013 anläßlich eines Heimaturlaubs vorgenommen, diese bisher unbekannte Gründungsstätte aufzuspüren, was ihm durch insistierendes Umhorchen vor Ort und mehrere Besuche des Stadtarchivs im 'Haus der Essener Geschichte' binnen einer Woche gelungen ist.
Genaugenommen ist es Wilhelm Maßmann (1895-1974) zu verdanken, weil dieser als emsiger Chronist in einem ausführlichen Nachruf zu Herrn Trilling (in Heft 186 der Schwalbe vom Januar/März 1947) präzise persönliche Angaben zum Verstorbenen gemacht hat. An dieses Dokument gelangte ich durch die freundliche Unterstützung vom eingeweihten SF Ralf Krätschmer, der es mir just an dem Tag, als das Projekt auf der Kippe stand, zusandte. Soeben war per Anruf der mit dem Stadtarchiv vereinbarte Termin über zwei Stunden am begehrten Lesegerät, für das es eine Warteliste gibt, geplatzt, an dem ich Einsicht in die Mikrofilme der Essener Tageszeitungen von 1924 nehmen wollte. Was nun? Ich rief fünf Minuten später zurück, erklärte, extra aus Berlin dafür angereist zu sein, erwirkte so wenigstens eine halbe Stunde und kurz vor deren Ablauf war mir das Glück hold - da stand es, in entzifferbarer Frakturschrift, schwarz auf weiß!
Resultat: Die bisher unbekannte Räumlichkeit, nunmehr als Gaststätte Zum Schwanen identifiziert, befand sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu Herrn Trillings Wohnung am (ehemaligen) Witteringplatz in Essen-Rüttenscheid.
Auf der Hinfahrt nach Essen hatte sich im Reisegepäck Herrn Trillings überlieferte Wohnadresse aus den 1920er Jahren, das Gruppenfoto und das Wissen um die Existenz von drei Essener Tageszeitungen befunden, was mir vom gebürtigen Essener Kurt Ewald über den vermittelnden 2. Vorsitzenden Günter Büsing mitgeteilt worden war. Eine bereits ein halbes Jahr vorher gemachte Anfrage beim Essener Amtsgericht war erfolglos geblieben, denn es handelte sich nicht um einen e. V., wie Herr Ewald nachträglich zu bestätigen wußte.
Nach persönlichem Augenschein am und um das Haus Witteringstr. 56 (heute: 56-58) herum - auf den Fundamenten des im 2. Weltkrieg zerbombten Gebäudes Anfang der 50er Jahre wiederaufgebaut -, der Entdeckung der 'IGR' und drei bedeutungsvollen Details (erstens: Herr Anton Trilling lud ein, was bei der Anzahl von insgesamt 15 Personen wahrscheinlich nicht in seiner Wohnung gewesen ist; zweitens: er war aufgrund einer Erkrankung in seiner Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt, was bedeutet, daß die Versammlung nahe seiner Wohnung stattgefunden haben dürfte und drittens: Herr Trilling war in jener Zeit Mitarbeiter bei der Schach-Ecke im Essener General-Anzeiger) ergab sich die folgerichtige Idee, nach Informationen über Schach in den Zeitungsausgaben zu suchen und hierbei war das auf das Gründungsdatum folgende Wochenende reinwegs logisch. Einsicht in teilweise erhaltene Essener Adreßbücher aus den 1920er Jahren und später gaben dann noch die genaue Hausnummer, nämlich Witteringplatz 1, und Angaben zum damaligen Schankwirt (August Rolf) der Gaststätte preis, der sie Mitte der 30er Jahre aus Altersgründen an Herrn M. Vinohr verpachtet hat. Die Gründungsversammlung fand in einem großen Raum im 1. Stock des Gebäudes am frühen Nachmittag statt. Merkwürdigerweise wird im Adreßbuch 1924 in der Witteringstraße 56, II. (Stock) lediglich eine Bauunternehmer-Witwe Magdalena Trilling (geb. Böhme, wohl seine Mutter) aufgeführt, Anton Trilling selbst nicht. Diesen Umstand habe ich nicht weiter verfolgt.
Im Bereich Historische Bilder aus Essen, dann links unter Punkt 7: Nebenstraßen zeigt die geschichtsbewußte 'IGR = Interessengemeinschaft Essen-Rüttenscheid e.V.' - www.igruettenscheid.de/ - mit den Bildern 9. (Gasthaus Zum Brenner), 13. (Annastraße 1915) und 14. (Cäcilienstraße 1915), wie es in unmittelbarer Nähe zum Witteringplatz seinerzeit ausgesehen hat.
Mitte Oktober 2013 fuhr ich nach der Schwalbe-Tagung in Sindelfingen erneut nach Essen. Immerhin fehlte noch der krönende Abschluß, nämlich eine Außenansicht der Gaststätte. Neben dem Essener Stadtarchiv gibt es ebenfalls ein Fotoarchiv der Stadtbildstelle. Leider wurde der bemühte Sachbearbeiter nicht fündig und meinte, daß Zum Schwanen eher nicht zu den bekannteren Lokalitäten der Rüttenscheider Gastronomie gezählt hat. Zur Abrundung der Angelegenheit ging es dann noch einmal ins Stadtarchiv. Glücklicherweise brachte mich die Dame von der Anmeldung diesmal mit einer Archivarin in Kontakt, die nach Erläuterung des Anliegens zu meiner Verblüffung mutmaßte, daß das besagte Gebäude vielleicht doch nicht zerstört worden war, denn einzelne Häuser hatten, wie sie wußte, die Bombadierung überstanden ... grabbelt sodenn in einem alten Karteikasten, geht dann kurz weg (in der Tat: der Witteringplatz umfaßte fünf Häuser, Nr. 1 bis 5, von denen nur die Nummern 3 bis 5 zu Ruinen wurden) und überreicht mir, zurückgekehrt, die komplette Bauakte vom Haus Nr. 1, in dem Zum Schwanen residiert hatte. Sie umfaßt einen Zeitraum von 1894 bis 1964, in dem das baufällige Gebäude schlußendlich zum Abriß freigegeben worden ist. Ich ging die Bauakte Seite um Seite durch und mittendrin fand sich tatsächlich ein von der Baupolizei gemachtes Foto von 1939. Zwar ist Zum Schwanen darauf nur spärlich seitlich links zu sehen, denn Grund der Aufnahme war eine angebrachte Außenwerbung, doch gleichzeitig sieht man die Straße und rechts eine Häuseranreihung und eben da hat Herr Trilling gewohnt. Alles in allem ein bescheidenes Umfeld, dessen ungeachtet die Wiege vom Esprit der organisierten Problemkunst, deren 90jähriges Bestehen wir in diesen Tagen kräftig feiern dürfen.
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