Kalenderblatt
Im letzten Heft hätte an den 100. Geburtstag von Hermann
Albrecht (30.8.1915-26.5.1982) erinnert werden sollen, doch aus
unerklärlichen Gründen ist mir das Jubiläum dieses herausragenden
Zweizüger-Experten durch die Maschen gerutscht. Seine
"Albrecht-Sammlung" machte ihn zur weltweit anerkannten
Autorität; sie konnte nach Albrechts Tod von H. D. Leiß
fortgeführt werden und lebt weiter, sozusagen in dritter
Generation, unter der Betreuung von Udo Degener, dem ich 1995
einen ganzen Kofferraum mit Karteikarten von Trier nach Potsdam
bringen konnte, wo die Sammlung dann nach und nach in eine
Datenbank einging - eine Riesenarbeit, vergleichbar mit der
Digitalisierung der Niemann-Hilfsmatt-Sammlung. Die Schwalbe
schreibt in Kooperation mit Albrechts Tochter ein Gedenkturnier
aus (an anderer Stelle in diesem Heft).
Als sich die FIDE-Problemkommission (PCCC) bildete und 1956 zur
Gründungsversammlung traf, hatte der Deutsche Schachbund (DSB) Gerhard
W. Jensch (27.1.1920-26.10.1990) als Delegierten benannt, doch
konnte der den kurzfristig um einen Monat verschobenen Termin
nicht wahrnehmen, sondern musste seine Teilnahme auf ein
informelles Vorgespräch mit Nenad Petrović beschränken.
Jenschs engagiertes Mitwirken am internationalen Problemgeschehen
setzte sich fort und wurde zunächst dadurch honoriert, dass er
1962 als Problemwart ins erweiterte Präsidium des DSB aufgenommen
wurde und gipfelte dann (1971) in seiner Wahl zum Präsidenten der
PCCC. Ungefähr zeitgleich betrieb Jensch die Aufnahme der
Schwalbe in den DSB, die beim DSB-Kongress 1971 beschlossen wurde
und anschließend noch von der Schwalbe bestätigt werden musste
(daher gilt 1972 als Beitrittsjahr). Interessante Randnotiz dazu:
An den Gesprächen über die Aufnahme der Schwalbe war unser
derzeitiger DSB-Delegierter Kurt Ewald beteiligt; er war auch
dabei, als nach dem Beitrittsbeschluss in einem Vierergespäch mit
zwei DSB-Vorstandsmitgliedern, Jensch und ihm selbst der
DSB-Zuschuss von jährlich 6000 DM für die Schwalbe vereinbart
wurde. Über viele Jahre redigierte GWJ verschiedene
Schachspalten, zunächst im Wiesbadener Kurier (bis 1961),
danach in der Süddeutschen Schachzeitung. Von 1969 bis
1980 leitete er die Schachecke im Schach-Echo, die er zu
einer der berühmtesten Spalten jener Zeit machte und in der er
insbesondere das moderne Hilfsmatt propagierte.
Gerhard W. Jensch
Die WELT 1952
#8 (5+7)
Bei seinem breiten Aktionsspektrum
blieb GWJ nicht sehr viel Zeit fürs Komponieren; gezeigt sei
daher ein frühes Werk von 1952: 1.Lf5! [2.Sb3] 1.- e4 (1.- Lc4?
2.Sc2#) 2.Ld7 [3.Sb3+ Kd3 4.Lb5#] 2.- La6 (Anti-Grimshaw) 3.L:g4
[4.Sc2+ Kc4 5.Le2#] 3.- Lf1 (zweiter Anti-Grimshaw) 4.Ld7 La6
(dritter Anti-Grimshaw) 5.Lh3! und der sL muss das
Selbstblockfeld e2 statt des guten Felds f1 wählen: 4.- Le2
6.Sb3+ Kd3 7.Ld7 nebst 8.Lb5#. "Weißes und schwarzes L-Pendel
von großer Feinheit", so der Kommentar von Josef Breuer. Eine
von GWJ entwickelte Schachvariante ist das Stereoschach, das er
auf mehreren Schachtreffen vorführte und für das er in seinem
italienischen Alterssitz Vasia auch eine "Weltmeisterschaft"
organisierte. Dort ist er auch vor nunmehr 25 Jahren verstorben.
Robert Emden
Akademisches Monatsheft
für Schach 1894
#4 (7+4)
Die Münchner Buslinie 155 führt vom Ostbahnhof zur Emdenstraße,
die nicht weit von meiner Wohnung entfernt ist. Lange vermutete
ich, dass die Straße nach der norddeutschen Stadt benannt ist,
die nicht allzuweit von meinem Geburtsort entfernt ist, bis ich
dann irgendwann herausfand, dass hier eine Person geehrt wurde:
Jacob Robert Emden (4.3.1862-8.10.1940) war ein
in St. Gallen geborener Wissenschaftler, der seit 1889 in
München lebte und von 1907 bis 1934 an der Technischen
Universität München zunächst Physik, Meteorologie und
Luftschifffahrt, später theoretische Physik und Astrophysik
lehrte; seit 1920 war er auch Mitglied der Bayerischen Akademie
der Wissenschaften. In seinen frühen Münchner Jahren war Robert
Emden eine der tragenden Säulen des berühmten Akademischen
Schachclubs München (A.S.C.M.); als Redakteur betreute er über
Jahre die vom A.S.C.M. herausgegebenen Akademischen
Monatshefte für Schach. Aus seiner engen Bekanntschaft zu
Bayersdorfer ergaben sich vielfältige Kontakte zu bekannten
Komponisten, so dass die unter Emdens Redaktion in den
Monatsheften publizierten Probleme regelmäßig die Runde durch
die internationalen Schachblätter machten. Ab 1890 trat er auch
als Problemkomponist in Erscheinung; gezeigt wird hier (s.
Diagr.) ein Herlin-Inder: 1.Th3 Kd5 2.Th4 c6 3.Lg4 nebst 4.Le6#,
dazu kommt eine optisch nette T-Leiter auf der h-Linie nach 2.-
Kc6 3.Th5 d5 4.Th6#. An den Feierlichkeiten zum 10jährigen
Jubiläum des A.S.C.M. war Emden maßgeblich beteiligt,
insbesondere an der ersten Festschrift des A.S.C.M.\ (1896).
Gegen Ende des Jahrhunderts stellte er dann seine schachlichen
Aktivitäten ein, um sich ganz seiner wissenschaftlichen Karriere
zu widmen, die ihm, der vor 75 Jahren verstarb, noch eine
besondere posthume Ehrung eintrug: seit 1970 wird ein Mondkrater
nach ihm benannt (die mit ihm befreundeten Forscher
Schwarzschild und Sommerfeld haben auch welche in der Nähe
bekommen).
Jan H. Marwitz
Jan Selman
Enroque 1948
5. Preis
Gewinn (6+6)
Der niederländische Komponist Jan Hendrik
Marwitz (8.10.1915-6.12.1991) wurde durch die Bücher
Herbstmanns zur Schachkomposition angeregt und publizierte seit
den 1930er Jahren seine ersten Aufgaben; er konzentrierte sich
bald auf den Studiensektor. 1948 erschien sein zusammen mit Cor
de Feijter herausgegebenes Buch De Eindspelstudie, dem
kurz vor seinem Tod ein weiteres mit dem Titel Eindspelkunst
folgte. Harrie Grondijs hat 1996 eine kleine Broschüre Study
Story herausgegeben, in der er den über sechs Jahre anhaltenden
Briefwechsel zwischen Marwitz und Selman präsentiert, der das
kompositorische Ringen um die hier gezeigte Studie dokumentiert.
Die Stellung ist materiell ausgeglichen, die weiße
Gewinnhoffnungen stützen sich auf den Bh5, daher muss zunächst
dessen Überleben durch 1.Le3 L:f3 2.h6 Le4
(stoppt den weiteren Vormarch) gesichert werden. Nach 3.d:e5
kommt Schwarz in Schwierigkeiten, denn es droht neben e:f6 auch
der S-Verlust und nach 3.- f:e5 folgt 4.Sa6! mit Gewinn. Aber
Schwarz hat noch eine versteckte Verteidigungsidee: 3.-
d4!, deren Sinn sich erst später erschließt. 4.L:d4
f:e5! Weiß lässt sich nicht beirren und setzt fort mit
5.Sa6
mit den Drohungen 6.Sc5+ nebst 7.S:e4 und 6.L:a7. Nach 5.-
Sc6 6.Sc5+ Ke8! verliert Weiß ein Tempo, um den sL zu schlagen
(7.S:e4), wonach der sS noch rechtzeitig kommt,
um mit 7.- Se7+ 8.Kg7 Sf5+ 9.Kg6 S:h6 den
gefährlichen wBh6 zu beseitigen. Hier zeigt sich der Sinn des 3.
sZuges; ohne ihn stünde der wL auf e3 und ein sB auf d5, und
nach Sf6+ nebst L:h6 wäre die Stellung für Weiß leicht gewonnen.
Aber jetzt? Ist Schwarz gerettet? Die Riesenüberraschung 10.Lb6!!
lässt ihn aus allen Wolken fallen und führt entweder zum Matt
oder S-Verlust: 10.- Sf7 11.Lc5! Sd8 12.Sf6#,
oder 10.-Sg8 11.Kg7 Se7 12.Sf6#, und
schließlich holt sich Weiß nach 10.- Sg4 11.Lg1
den sS.
Auch der vor 100 Jahren geborene Niederländer Frits
Böttcher (17.10.1915-23.11.2008, mit vollem Vornamen Carl Johan
Friedrich) war in erster Linie Wissenschaftler. Er war 1968
Gründungsmitglied des Club of Rome und engagierte sich für
Umweltfragen. Umstritten war seine kritische Haltung zur
menschengemachten globalen Erwärmung. Seine schachlichen
Aktivitäten konzentrierten sich auf die Beschäftigung mit
Studien: In den 1930er Jahren schuf er etwa 20 Kompositionen, und
weil er 1988, ein halbes Jahrhundert später, zu den
Gründungsmitgliedern der niederländischen Studiengruppe ARVES
gehörte, darf man wohl annehmen, dass die Schachkomposition eine
bedeutende Rolle in seinem langen Leben gespielt hat. Auch das
auf Wikipedia gezeigte Foto von 2007 zeigt ihn am Schachbrett.
Gerhard Kaiser
Deutsche Schachzeitung
1957
#6 (4+3)
Vor 125 Jahren wurde in Bautzen Gerhard Kaiser
(11.10.1890-13.6.1966) geboren, der während des 1. Weltkriegs
mit dem Problemschach in Berührung kam und ihm dann in Dresden
nach seiner Bekanntschaft mit Palitzsch endgültig verfiel. 1958
begründete er die Schachspalte in der Sächsischen Zeitung,
Anfang der 1960er Jahre leitete er drei Jahre lang den
Problemteil in der Zeitschrift SCHACH. Eine besondere
Vorliebe hatte er für Miniaturen, die Kostprobe hier zeigt einen
Tempokampf zwischen wL und sS: 1.Le6? Se4 2.Lf5? Sg3+! geht gar
nicht; nach 1.Lg8? Se4 2.Lh7 Sg3+ 3.Kf2 fehlt dem wL die
Diagonale e8-a4. Daher 1.Lf7 Se4 2.Lg6! Sg3+ 3.Kf2 Sf5 4.Le8!
S:d4 5.Lh5 nebst 6.Lf3#. Auf 2.- Sd2+ folgt 3.Kf2 Sf3 4.Lf7
5.Ld5+ 6.L:S#. Die von ihm angelegte Sammlung umfasste etwa
10.000 Miniaturen und ging später an Klaus-Peter Zuncke, von wo
aus sie dann in die von W. A. Bruder betreute großte
Miniaturensammlung integriert wurde.
Fritz af Geijerstam
Deutsche Schachzeitung
1882
#4 (12+10)
Der schwedische Problemist Fritz af Geijerstam
(6.1.1852-18.10.1890) komponierte seit Mitte der 1870er Jahre
und nahm mit großem Erfolg an verschiedenen internationalen
Kompositionsturnieren teil; so gewann er u. a. die 3#-Abteilung
im Nürnberger Problemturnier 1883. Die hier gezeigte Aufgabe ist
Erstdarstellung einer AUW im Vierzüger: 1.Te8 c2+ 2.Kc1
b:a5/b:c5 3.g8T/g8L 4.Tf5/Ld8#; 1.- Lc2+ 2.Ke1 L:d3 (Ld1)
3.L:c3+ Kf7 4.g8D# und 1.- b:a5 2.g8S+ Kf7 3.Te7+ 4.Tc8#.
Karl Musil
Schachmatny Journal 1894
1. Preis
#3 (7+8)
Vor 150 Jahren wurde der Prager Arzt Kar(e)l
Musil (30.9.1865-6.4.1926) geboren, der im Problemschach
"bedeutend" war, wie die DSZ im Nachruf meldete. Seine
Aufgabe zeigt einen klassischen Böhmen mit drei wOpfern und drei
Modellmatts: 1.Db5! [2.Le6] f2 2.Df5+ S:f5 3.Lg2#, 1.- Ld4
2.Dd5+ K:d5 3.e4# und 1.- Lc3 2.Sb6 L:e1 3.De8#. Musils Leben
endete spektakulär/tragisch durch einen Sturz von der
Cheopspyramide.
Sigmund Herland (27.9.-1865-15.8.1954) wurde vor
anderthalb Jahrhunderten in Wien geboren, wo er auch aufwuchs,
bis er im Alter von 21 Jahren als Leiter einer Fabrik nach
Bukarest ging und dort, wo er sein berufliches Leben verbrachte,
zu einem der bedeutendsten rumänischen Schachspieler und
Komponisten wurde. Die Bekanntschaft mit Wolfgang Pauly brachte
ihn Anfang des letzten Jahrhunderts zum Problemschach. Er
komponierte auf allen Gebieten, ohne einer bestimmten Schule zu
folgen. Die Revista Romana de Šah gab 1948 eine
Sammlung mit 360 seiner Aufgaben heraus.
Über Hugo Rohr (16.9.1865-9.12.1937) erschien
erst in Heft 258 eine Notiz zu seinem 75. Todestag. Jetzt sei an
seinen 150. Geburtstag erinnert. Ganz kurz sei auch an zwei
schachhistorisch bedeutsame Personen erinnert, auch wenn sie
problemschachlich nicht besonders hervorgetreten sind: Die
Eckdaten des kurzen Lebens von Paul Rudolf von
Bilguer (21.9.1815-16.9.1840) geben doppelten Anlass für eine
Nennung, denn dem 200.\ Geburtstag muss gleich noch der 175.
Todestag hinzugefügt werden. Seine Initiierung des wohl
berühmtesten Schach-Lehrbuchs aller Zeiten sichert ihm einen
Platz im Schach-Olymp. Ähnliches gilt auch für Louis
Charles Mahé de Labourdonnais (1797-13.12.1840), dessen
Wirken am Beginn des modernen Schachlebens steht und der mit dem
Palamède auch die allererste Schachzeitung
herausgab.
GüBü