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Heft 305, Oktober 2020

 


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Zur gegenwärtigen Rezeption der Drohkorrektur-Thematik

von Hartmut Laue, Kronshagen

Unter den bekannten Formen von Korrekturthematik ist die Drohkorrektur diejenige, die - obwohl von Experten vor Jahrzehnten bereits als interessant erkannt und bearbeitet - im allgemeinen Verständnis am wenigsten Fuß gefaßt hat. Kovačević, Shire und Schanschin haben vor ca. 6 Jahren in einer 4-teiligen Aufsatzfolge im Problemist ein eindrucksvolles Panorama des bis dahin im direkten Zweizüger Geleisteten entworfen, ebenso im Ukrainischen Problemist eine russische Version derselben publiziert. Ihr Einleitungssatz spricht Bände: "The main reason prompting us to write this article together is to try to increase the mutual understanding of our differing composing perspectives and to seek a collective common ground." The Problemist, Mai 2014, S. 364.) In der Tat fällt bei genauerem Hinsehen in bekannten theoretischen Werken in der Darstellung der Thematik sowohl ein Mangel bzw. unterschiedlicher Grad an Allgemeinheit als auch eine Uneinheitlichkeit im definitorischen Detail auf, worauf ich bereits an anderer Stelle eingegangen bin (u. a. in meinem Aufsatz im April-Heft der Schwalbe 2019, S.82ff); und dabei sind von den oben genannten Autoren gemeinte, auf unterschiedlichen Entwicklungen in verschiedenen Ländern beruhende Differenzen noch kaum berührt. Dieser Zustand mag wohl, im Verbund mit der Nichttrivialität der Materie, einer der Gründe dafür sein, daß man von einer befriedigenden allgemeinen Verankerung derselben in unserer Gemeinde von Problemfreunden nicht vorbehaltlos sprechen kann. Man sieht an Löserkommentaren, daß die Thematik nicht wirklich heimisch geworden ist. Selbst Preisrichtern noch bleibt hier zum Erstaunen bisweilen mancher Inhalt verborgen. Berufene Experten wie die oben Genannten entwerfen ein großartiges Bild von der logischen und ästhetischen Qualität und Komplexität der Drohkorrektur; zum selbstverständlichen Bestand wie etwa der Grimshaw, der Mattwechsel oder die fortgesetzte Verteidigung ist sie trotzdem nicht wie erhofft geworden.

Geradezu als Indiz dafür kann die erstaunliche Beobachtung gelten, daß offenbar niemand bis vor ganz wenigen Jahren die Möglichkeiten für die Drohkorrektur im Selbstmatt-Zweizüger in Augenschein genommen hat. Anders als bei anderen Inhalten des Direktmatts lag die Drohkorrektur wohl allenfalls an der Peripherie der Aufmerksamkeit. Im Anschluß an das Studium der oben genannten Aufsatzfolge mußte ich mir eingestehen, daß mir nicht eine einzige Selbstmatt-Realisierung der Thematik bekannt war. Eine Phase des Auslotens ließ absehen, daß sich hier ein gänzlich unbeackertes Feld schwer schätzbarer Größe auftat, Anlaß genug für Diskussionen dazu in zunächst lokalem Kreise. In wenigen darauffolgenden Jahren hat dann eine immer noch bescheidene, aber wachsende Zahl kreativer Autoren die Thematik im Selbstmatt-Zweizüger aufgegriffen und zu einer Entfaltung gebracht. Deutlicher kann der Hinweis nicht ausfallen, was für ein Unfug es ist, den Tod des Selbstmatt-Zweizügers zu predigen. Die inzwischen über dreißig und mit interessanten selbstmattypischen Effekten gespickten Beispiele sehr verschiedener Art stehen jedermann gesammelt in der Datei https://www.dieschwalbe.de/download/drohkorrektur.pdf auf dieser Web-Seite zum Studium und zur Anregung für eigenes Tun zur Verfügung. Eine verläßliche theoretische Basis für die aufgenommenen Aufgaben leitet die Sammlung ein. Zahlreiche von ihnen haben in der Schwalbe das Licht der Welt erblickt. Als Sachbearbeiter hatte ich das unverhohlene Vergnügen, bei den Lösungsbesprechungen immer wieder auf die thematische Denkweise einzugehen und dabei zunehmend auf qualifizierte Löserkommentare zurückgreifen zu können.

Die oben aufgeworfene Frage, warum es die Dohkorrektur schwer hat, im allgemeinen Verständnis Fuß zu fassen, läßt aber nach wie vor nicht ruhen. Offenbar kann mehr im Dienst der Thematik getan werden, als sie anhand von Beispielen immer wieder neu in Worte zu kleiden. Schon in der Notation der Lösung nämlich läßt sich eine entscheidende Stelle ausmachen, die in der traditionellen Darstellungsweise in ihrer Unauffälligkeit zu wenig ihre inhaltliche Bedeutung signalisiert: Gemeint ist die der Drohung der sekundären Phase angefügte Angabe des hier scheiternden Drohzugs aus der primären Phase. Dem Kenner mag dessen traditionelle Notierung mit anschließendem Fragezeichen genug sagen. Nach meiner Erfahrung weist sie aber auf die thematische Relevanz dieser Stelle nicht ausreichend hin; nur stellt der im Problemschach übliche Zeichensatz keine angemessenere andere Möglichkeit bereit. Hier geht es ja nicht nur um die Mitteilung des Scheiterns eines falschen zweiten Zuges, über die man sich wegen seiner Offensichtlichkeit (im Zweizüger!) ohnehin eher wundern könnte. Vielmehr soll man dem eine theoretische Botschaft entnehmen, nämlich nicht nur das Scheitern registrieren, sondern auch genau nach dem Effekt fragen, der dieses verursacht. Aber nicht nur das: Man soll vor allem zur Kenntnis nehmen, welcher Effekt des Erstzuges überhaupt zu der sich nicht bewahrheitenden Erwartung führt, der als scheiternd angegebene Zweitzug könne erfolgreich sein! Denn thematischer Kern ist, daß der Erstzug der Sekundärphase diesen auslösenden Effekt ebenso wie der Erstzug der Primärphase hervorruft, nach dem ja im Unterschied jener Zug tatsächlich droht. All das liegt in dem betonten "nicht", mit dem man im mündlichen Vortrag der Lösung diese Stelle begleiten würde! Ich habe bei einem bekannten Autor an dieser Stelle sogar dieses Wort zur Hervorhebung ausgeschrieben gesehen - etwa so, als wenn man bei einem Schachgebot statt des Symbols + das Wort "Schach!" vorfände. (Im englischen Problemist weicht tatsächlich erst im Jahr 1967 die Abkürzung "ch" für "check" dem heute weltweit üblichen sprachenunabhängigen Plus-Symbol!) Nur gibt es bislang im Unterschied dazu kein traditionelles Symbol für das "nicht" im eben ausgeführten umfassenden Sinne eines "nicht, obwohl man Anlaß hätte, es zu erwarten"! Die Disziplin der Logik verwendet zur Verneinung (von Aussagen) in langer Tradition das überaus einfache, dem Minus-Zeichen abgelauschte Symbol ¬ . Ich halte es für passend, dieses in unserem Zusammenhang als Signal für die angegebene thematische Komplexität um das Scheitern des danach angegebenen Zuges zu verwenden, während das Fragezeichen allein ja streng genommen nur das Scheitern als solches ausdrückt. In der Sammlung der Drohkorrektur-Zweizüger ist das Zeichen an jeder dieser relevanten Stellen zu sehen und hat noch bei keinem Leser verwunderte Nachfragen ausgelöst. Die gute Absicht dahinter, zur Transparenz der Thematik bereits in der Lösungsnotation beizutragen, wird jedem Experten offensichtlich sein. Ob das Ziel erreicht wird, ist eine andere Frage; aber den Versuch ist es wert. Er ordnet sich als ein Scherflein in das oben skizzierte Gesamtbemühen um Förderung allgemeinen Verständnisses der Drohkorrektur-Thematik ein.

Der Leser der Schwalbe, der in der Lösungsbesprechung der Nr. 18128 bei dem ungewohnten Zeichen stutzt, verhält sich durchaus erwartungsgemäß! Die Lösungsbesprechung, die zum wiederholten Male die thematischen Aspekte einer TTC im Detail ausführt, mag in ihrer Konkretheit dessen Sinn erfolgreicher aufscheinen lassen als die obigen abstrakten Ausführungen. Gern habe ich aber die Gelegenheit wahrgenommen, aus einem umfassenderen Blickwinkel heraus auf den Gebrauch dieses Symbols auch abstrakt einzugehen.

Als Selbstmatt-Sachbearbeiter geht mein Wunsch natürlich besonders dahin, daß sich weitere Facetten der Drohkorrektur in diesem Gebiet auftun mögen. In diesem Sinne kann ich im vorliegenden Heft 305 das Studium der Nr. 18325 besonders empfehlen, deren Autor übrigens die Drohkorrektur-Sammlung sogar zur Publikation einiger Urdrucke für wert erachtete. Neben zahlreichen anderen ist auf diese besonders hinzuweisen, da man sie ja anderweitig nicht publiziert vorfindet; und zwar gerade im Hinblick auch auf Ungewohntes bei dieser Thematik.


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