Einer
der ganz Großen des Problemschachs feierte seinen Ehrentag, den 70. Geburtstag
- und viele Kräfte vereinten sich, um diesen Anlaß gebührend zu
begehen. Diesen Eindruck gewinnt man unschwer aus der ganz Valentin Rudenko gewidmeten
Ausgabe Nr. 3 des "Problemist Ukraini" 2008. 56 hochglänzende Seiten
geben das beeindruckende Ergebnis des Jubiläumsturniers "Rudenko - 70"
wieder, dazu auch eine bunte Mischung von Fotos, die den Jubilar zeigen oder betreffen.
Ein solches Turnier in 7 (!) Abteilungen darf man mit Fug und Recht als außergewöhnliches
problemschachliches Ereignis bezeichnen. Dabei ist die Zahl der Abteilungen eigentlich
noch größer: In der #2-, #3-, #4-und s#2-Abteilung war kein Thema vorgeschrieben,
jedoch gab es spezielle Auszeichnungen für beste Darstellungen von Themen,
die dem Jubilar am Herzen lagen; faktisch bedeutete das, wie der Preisbericht
lehrt, eine Aufspaltung der jeweiligen Abteilung in eine thematisch freie und
eine thematisch gebundene Sektion, also jeweils quasi eine Verdopplung! Der thematisch
gebundene Teil bezog sich dabei jeweils auf folgende Forderungen: #2: Rudenko-Thema:
Die Mattzüge aus einer Doppeldrohung in einer Phase werden zu Mattzügen
in Varianten einer anderen Phase. #3:
Rudenko-Paradox: Schwarz verteidigt sich gegen eine Drohung durch Angriff auf
das von der mattsetzenden Figur zu besetzende Feld; Weiß opfert daraufhin
diese auf dem angegriffenen Feld. #4: Thema e.p.-Verteidigung: Schwarz verteidigt
sich gegen eine Drohung durch Vorbereitung eines e.p.-Schlages als Antwort auf
einen in der Drohung vorkommenden Bauern-Doppelschritt. s#2: "Janus"-Thema:
Dieselbe taktische Idee des ersten schwarzen Zuges spielt sowohl für die
Verteidigung gegen die Drohung als auch für die Motivation des 2. Zuges von
Weiß eine Rolle. Das Thema der Abteilung h#2 lautete: Mindestens zwei Satzvarianten
müssen durch einen irgendwie gearteten Wechselmechanismus mit einem Lösungsspiel
in Beziehung stehen. Auch eine Märchenschach-Abteilung gab es: Hier waren
#2 mit Wechselspiel in mindestens 2 Varianten verlangt, in denen jede Partei mindestens
einen "Kombi-Bauern" hat; ein solcher unterscheidet sich von einem gewöhnlichen
Bauern dadurch, daß er auch seitlich benachbarte Felder kontrolliert. Schließlich
gab es eine Abteilung für direkte Mattprobleme, in denen die Diagrammstellung
ein Symbol darstellt. Nur in dieser Abteilung war nicht der Jubilar Preisrichter,
sondern E. A. Reitzen - aus verständlichen Gründen, denn was war angesichts
des Anlasses in dieser Abteilung zu erwarten? Richtig ... Den ersten Preis gewann
ein Problem-"Paket" aus 7 Vierzügern von M. Marandyuk, deren Stellungen
die Buchstaben des Namens "Rudenko" in kyrillischen Großbuchstaben
stilisiert wiedergeben; auch der 2. Platz geriet zu einem solchen "Sendungspreis". Ein
umfassendes Eingehen auf den problemschachlichen Ertrag des gesamten Turniers
würde den Rahmen eines "Schwalbe"-Aufsatzes sprengen. Als
Selbstmatt-Sachbearbeiter
erlaube ich mir daher, mich auf Kommentare zu der Selbstmatt-Abteilung zu beschränken,
hierin aber Ausführlichkeit nicht zu scheuen. Bezüglich der anderen
Abteilungen seien wenigstens die Spitzenprobleme und ihre Lösungen wiedergegeben:
1
Anatolij W. Slesarenko V. Rulenko - 70, 2008 1. Preis
|
|
2
Wassyl W. Djatschuk Viktor A. Melnitschenko V. Rudenko - 70:
Th.-T., 2008 1. Preis
|
|
3
Wassyl W. Djatschuk V. Rudenko - 70: Th.-T., 2008 2. Preis
|
|
|
|
#2 |
(10+10) |
#2 |
(12+8) |
#2 |
(11+10) |
4
Alexander S. Kusowkow V. Rudenko - 70, 2008 1. Preis
|
|
5
Mikhail Marandyuk Version: Valentin Rudenko V. Rudenko - 70:
Th.-T., 2008 1. Preis
|
|
6
Walerij W. Kopyl Ewgwnij A. Reitzen V. Rudenko - 70,
2008 1.
Preis
|
|
|
|
#3 |
(12+13) |
#3 |
(12+8) |
#4 |
(9+12) |
Lösungen
der Aufgaben Nr. 1-9 : Nr. 1: 1.- D~/Dd4(!) 2.Lc3/Dd6#,
1.Lh1? [2.Dd6/5#] Lg2!, 1.Lf3(!)? [2.Dd6#] f4/Kf4 2.Dd5/Lc3#, aber 1.-Dd4!,
1.Le4! [2.Dd5#] f:e4/K:e4/Dd4 2.Dd6/Lc3/ De7#. Nr. 2: 1.Se:d4? [2.c4#,
2.Lc4#] S:e5/L:c6/D:d4 2.Se7+/De6/T:d4#, aber 1.- Sb2!, 1.Df5! [2.Se7#] S:e5/L:c6/D:e5
2.c4/Lc4/T:d4#. Nr. 3: 1.Tc3? [2.Sc7#, 2.Dd6#] L:c3/L:c5 2.Se3/T:c5#, aber
1.- Sc4!, 1.Db5? [2.Sc7+] Lc3/L:c5(!) 2.c6/D:c5#, aber 1.- Tc8!, 1.Tg4! [2.T:d4#]
Lc3/L:c5(!)/ L:e3+(!)/L:e5(!) 2.Dd6/Sc7/S:e3/T:e5#. Nr. 4: 1.Tf8! [2.Te4+
Kf5 3.De6#] Sg3/Ta7/T:e7/Te1/Lg8 2.Sd3+/d4+/L:d6+/f4+/S:g6+ Kf5/Kf4/D:d6/D:f4/D:g6
3.Dd5/L:d6/Te4/Sd3/d4#. Nr. 5: 1.- D:f5 2.Lf4+ D:f4/S:f4 3.d4/Sc4#. 1.Lg2!
[2.Lf4+ D:f4/S:f4 3.d4/Sc4#] S:f5 2.d4+ S:d4/K:e4 3.Sc4/De6#, 1.- Tc5 2.Sc4+ T:c4/Kd4
3.T:d5/Lb2# (1.- Se3 2.L:e3). Nr. 6: 1.Sa7! [2.Tc6+ D:c6 3.Lb4+ Kd4 4.S:c6#]
e3/Tg6 2.T:d5+/L:d5 D:d5 3.b4+/Lb4+ Kc/d4 4.T/Sc6#. Nr. 7: 1.Sc7! [2.Tf4+
Ke5 3.Te4+ S:e4 4.f4#] Lb5/Sb5/c5 2.e7/Kg3/S:d5 3.T:f6+/Te5+/Tf4+ Ke5 4.T:e6/f4/Te4#
(1.- Sb5 2.Kg3 S:c7 3.Tf4+ Ke5 4.Te4#). Nr. 8: 1.- Sd4/Sd5/Lg4 2.Sb3/Sc7/De2
Th4/Sc3/Lf5#, 1.S:b3 Sd5 2.Sd4 Sc3# (1.- Lg4? 2.Sd4 Lf5+ 3.S:f5), 1.S:c7 Lg4 2.Sd5
Lf5# (1.- Sd4? 2.Sd5 Th4+ 3.Sf4), 1.D:e2 Sd4 2.Dd3 Th4# (1.- Sd5? 2.Dd3 Sc3+ 3.D:c3).
Nr. 9: 1.- b5+/d5+/b6 2.c:b5/c:d5/a8D#, 1.Ld6? [2.Df3#] c:d6/ h1D 2.D:d7/D:h1#,
aber 1.-b5+!, l.L:c7! [2.D:d7#] b5+/d5+/b:c7/d:c7 2.c:b6/c:d6/a8D/Df3#. Es
kommt nicht alle Tage vor, daß in einem Turnier gleich zwei Abteilungen
für Selbstmatt-Zweizüger laufen! In der thematisch ungebundenen Abteilung
spielten, wie man es heutzutage auch erwarten sollte, Wechselthematiken eine beherrschende
Rolle. Was es seit Jahrzehnten im direkten Zweizüger in allen denkbaren Variationen
gibt, kann im Selbstmattkleid neue Farbe gewinnen. Doch tut es das keineswegs
automatisch: Wenn der Mechanismus bloß der eines direkten Zweizügers
ist, verbleibt nur der Verfremdungseffekt, eine bei dem Mechanismus nicht gewohnte
Forderung anzutreffen; doch diese Art von Überraschung ist schnell abgenutzt
und rechtfertigt kaum eine Aufnahme in den Preisbericht. Man durfte also gespannt
sein, was bei den ausgezeichneten Aufgaben der jeweiligen Wechselthematik für
selbstmattypische Seiten abgewonnen werde.
10
Wassyl W. Djatschuk V. Rudemko - 70, 2008 1. Preis
|
|
11
Erkki A. Wirtanen Olympiade Leipzig1960 1. Preis
|
|
12
Waldemar Tura Schach-Echo 1964 1. Preis
|
|
|
|
s#2 |
(9+12) |
s#2 |
(11+8) |
s#2 |
(11+8) |
Bei dem Siegerproblem
Nr. 10 liegt, rein formal betrachtet, zunächst "nur" ein
Fortsetzungswechsel in drei Varianten (nämlich 1.- D:b5+/T:a4/f3) vor; das
wäre im direkten Zweizüger von heute nicht der Rede wert. Man muß
schon genauer hinsehen, um mehr davon zu haben: Die Einschaltung schwarzer Kraft
in den ersten beiden Abspielen sowie die Ausschaltung weißer Kraft im dritten
Abspiel vermag Weiß zum Selbstmatt auszunutzen: 2.Dc4+/Dd4+/D:e4+ - schon
das undenkbar im #2! Aber wie kommt es zu den Fortsetzungswechseln? Nach 1.De1!
(mit der Drohung 2.L:e4+) ist es in allen drei Varianten die Abwesenheit der vorher
für alles zuständigen wD, die nicht nur eine neue Antwort erfordert,
sondern auch möglich macht: Nach 1.- D:b5+ wäre 2.c4+ zwar auch schon
im Satz möglich gewesen, aber an der Kraft der wDb4 gescheitert. Ebenso wäre
nach 1.- T:a4 bzw. 1.- f3 im Satz 2.T:c5+ bzw. 2.Sc3+ möglich gewesen, aber
an der Kraft der wD gescheitert. Zum
einen ist gerade die Kraft der wD die Garantin für die Satzspiele, zum anderen
ist es gerade die Beseitigung der Wirkung der Dame, die Weiß in der Lösung
auszunutzen vermag. Selbstmattypisch ist dieses Doppelgesicht der Rolle der wD,
zugleich durch ihre Wirkung (im Satz!) wie auch gerade durch das Fehlen ihrer
Wirkung (in der Lösungsphase) zum Ziel zu gelangen. Deswegen ist die Aufgabe
interessant, während sie dies durch das bloße Faktum dreier Fortsetzungswechsel
allein kaum wäre. So
weit, so gut. Eine weitere Frage ist natürlich, in welchem Maße so
ein Mechanismus originell ist. Vergleichen wir einmal den Fortschritt der Aufgabe
gegenüber Nr. 11: Nur zwei Varianten gibt es hier (und keine Drohung),
und die wD ist im Satz völlig untätig; man muß sich nur deswegen
mit ihr beschäftigen, um zu verstehen, warum nach 1.- f5 (im Satz) tatsächlich
2.f3 kommen muß, weil es nämlich der einzige unschädliche Wartezug
ist: Die wD könnte allenfalls auf h4 schlagen (weil sonst der dort stehende
sB anschließend zöge), aber ausgerechnet von h4 aus würde die
wD das Mattfeld f4 kontrollieren. Schon bei Nr. 11 ist es das selbstmattypische
Jonglieren mit der Kraft der wD, welches für die Erzeugung der Fortsetzungswechsel
zuständig ist. Nach dem Schlüssel 1.D:h4! muß die wD nach 1.-
f5 schleunigst wieder wegziehen, da in dieser Variante die Kontrolle von f4 hinderlich
ist; dagegen ist dieselbe nach 1.- f:g5 erfolgreich nutzbar (2.Df4+), verhindert
allerdings zugleich die im Satz mögliche Fortsetzung 2.f4+. Nur
wenige Jahre nach Nr. 11 erschien Nr. 12, in der wir nun - immer noch mit
Zugzwang arbeitend - drei Fortsetzungswechsel haben: Von den Satzspielen 1.- D:b5+/c:b5/f5
2.Dc4+/Dd4+/De4+ führt der die wD entkräftende Schlüssel 1..Dh2!
über zu 1.- D:b5+/c:b5/f5 2.c4+/Se3+/e4+. Die Nähe zu Nr. 10 ist frappierend
und so augenfällig, daß man kaum glauben mag, daß dazwischen
44 Jahre liegen! Ehe man vorschnell Nr. 12 als Vorgänger zu Nr. 10 bezeichnet,
sollte man aber etwas genauer die Unterschiede dieser beiden Aufgaben betrachten:
Wirkt nicht das Spiel in Nr. 10 viel farbiger als in den beiden älteren Aufgaben?
Woran liegt das? Zum einen gibt es in Nr. 10 eine Drohung. Schwarz genügt
nicht einfach der Zugpflicht (was bekanntlich häufig einen etwas faden Eindruck
hinterläßt - es sei denn, der Zugzwang kommt als "bombige Überraschung"),
sondern er verteidigt sich aktiv. Dabei ist die Variante mit dem Schachgebot 1.-
D:b5+ (die genauso in Nr. 12 vorkommt) eigentlich die am wenigsten interessante.
Mit 1.- T:a4 ist Schwarz in Nr. 10 darauf aus, e4 zu decken, beseitigt dabei aber
"aus Versehen" den wS, dessen Kraftbeseitigung nun Weiß selbstmattypisch
ausnutzt; er kann dadurch mit 2.T:c5+ die schwarze K-Batterie zum Abschuß
zwingen, die es in Nr. 12 gar nicht gibt! Mit 1.- f3 schließlich eliminiert
Schwarz die Wirkung des wLg2 (der doch in der Drohung auf e4 schlagen wollte!)
- und erlaubt gerade dadurch die Antwort 2.Sc3+, da der wL nicht nur auf e4 schlagen
konnte, sondern auch den sS fesselte. Von all dem kann bei Nr. 12 mangels Drohung
keine Rede sein, und doch wird auch schon hier mit einem Springerschach auf einem
Nachbarfeld (e3) des wK gearbeitet. Nur wird hier die sD entfesselt, in Nr. 10
dagegen der sS und eine zweite schwarze Batterie aktiviert - sicherlich ein Gewinn
an innerer Spannung. Ein
ganz wichtiger Punkt bei Nr. 10 ist jedoch, daß hier der Schlüsselzug
erstmals Auswahlcharakter hat; dieser unterstreicht markant die selbstmattypische
Idee von der Vorteilhaftigkeit der Ausschaltung eigener Kraft: Wenn Weiß
nämlich die Wirkung der wD nicht vollständig auslöscht, gelingt
es Schwarz, die irgendwo noch vorhandene Kraft bzw. Masse der wD zu seinem Vorteil
zu nutzen: 1.Da5? D:b5+! und nach 2.c4+ ist die sD gefesselt! (Man beachte, wie
geschickt das sonst hier unerwünscht ebenfalls widerlegende 1.- T:a4 durch
den Verführungsschlüssel ausgeschlossen wurde!) 1.Da3? T:a4!, und es
kann nicht 2.T:c5+ folgen, da die (d4 nicht mehr beherrschende) wD das Feld c5
immer noch deckt! 1.Dc3? f3! ist von anderer Art, da nicht die Kraft der wD jetzt
stört, sondern ihre Masse; blockiert sie doch jetzt das Feld c3 für
den wS. (Dies ist allerdings kein selbstmattypischer Effekt.) Abgesehen von dem
zuvor geschilderten Zuwachs an Lebendigkeit des Spiels besteht in den drei Verführungen,
in denen sich jede der schwarzen Antworten aus der Lösung jeweils als eine
Widerlegung präsentiert, eine besondere Qualität der Aufgabe, die sie
ihren über 4 Jahrzehnte älteren Vorläufern voraus hat. Die Konstruktion
ist ausgezeichnet. Das einzige Fragezeichen, das verbleibt, ist, ob nicht (mindestens)
der Zusatz "nach W. Tura" am Platze wäre. Man sollte sich durch
das juristisch infizierte Sinnieren darüber aber nicht die Freude an der
schönen Aufgabe vergällen lassen!
13
Wassyl W. Djatschuk Rudenko - 70, 2008 1. Preis
|
|
14
Roman F. Solokotzkij Rudenko - 70, 2008 Ehrende Erwähnung
|
|
15
Wassyl W. Djatschuk Rudenko - 70, 2008 1. Lob
|
|
|
|
s#2 |
(12+9) |
s#2 |
(11+10) |
s#2 |
(11+10) |
In Nr. 13
wird mit Zugzwang gearbeitet. Natürlich muß der wS ziehen, damit er
die Batterielinie a8-f3 nicht stört. Nach 1.SbS?, 1.Sa4? steht nach einem
Abzug des sS 1.- S~ die Fortsetzung 2.L:d7+ bereit. Verschafft sich aber Schwarz
das Fluchtfeld c7, indem er den ziellosen Zug des Springers zu 1.- S:d6(!) verbessert,
so nutzt Weiß eben dies, indem er den sK durch 2.b5+ zum Mattzug auf das
selbst verschaffte Fluchtfeld zwingt - eine glasklare Motivinversion im Sekundärspiel.
Während die Verführung an 1.- Sc5! scheitert, kehren sich nach dem Schlüssel
1.Se6! die Verhältnisse um; das liegt an der Fluchtfeldgabe (d6): Jetzt wird
ein beliebiger Zug des sS wegen des vorhandenen Fluchtfeldes nicht mit 2.L:d7+?
K:d6!, sondern mit 2.b5+ K:d6# beantwortet. Auch
jetzt ist 1.- S:d6(!) demgegenüber eine fortgesetzte Verteidigung, aber mit
einer ganz anderen Idee als im Satz: Hier soll der Zug der Verunmöglichung
des sK-Zuges nach d6 dienen (mittels Feldblockade). Wieder nutzt Weiß eben
dies durch 2.L:d7+, denn da sich Schwarz soeben selbst das Feld d6 verbaut hat,
bleibt ihm nur 2.- K:d7#. Äußerlich gesehen, ist dies "nur"
ein reziproker Wechsel (jedoch bereits wegen der Sekundärspiel-Vertiefung
von gehobener Sorte). Die Einarbeitung der Motivinversion, hier Dreh- und Angelpunkt
der Wechselthematik im Sekundärspiel, macht daraus aber ein interessantes
Selbstmatt. Es ist wie so oft: Das Selbstmattypische des Mechanismus ist das Entscheidende,
die (in Termini des orthodoxen Zweizügers formal benennbare) Wechselthematik
dagegen lediglich Konsequenz - allerdings eine attraktive Konsequenz, da sie aus
anderem Genre Bekanntes in neues Licht taucht. Es
gibt hier jedoch nicht nur Licht, sondern auch Schatten: Sucht man nach einer
Antwort auf die K-Flucht 1.- K:d6, so registriert man plötzlich, daß
auf g1 eine wD steht, die bisher überhaupt keine Rolle spielte ... Jetzt
schlägt sie einmal zu: 2.Dc5+ S:c5#, spielt aber im übrigen nur die
Rolle eines "Grundlinienbauern", der den sBg2 blockiert. Wohl ist einzuräumen,
daß die Position nach 1.- K:d6 kaum eine andere Fortsetzung denkbar erscheinen
läßt; aber dann ist dies eben eine der ansonsten so intelligenten Matrix
bedauerlicherweise innewohnende Schwäche. Die Zeiten, in denen man das "bei
einem Selbstmatt nicht so tragisch" fand, sind hoffentlich inclusive der
aus jener Formulierung atmenden naiv-despektierlichen Haltung gegenüber dem
Genre endlich vorbei! Der Turnier-Jubilar als Richter weist nicht auf diesen,
wohl aber auf einen weiteren Schwachpunkt hin, und dieser wäre ohne weiteres
zu beseitigen gewesen: Der Verführungscharakter von 1.S~? ist aufgrund der
Beliebigkeit schwach. Sieht man aber genauer hin, so stellt man schnell fest,
daß der Spielraum der letzteren nur in 1.Sa4? und 1.Sb3? besteht. Um den
Verführungsstart eindeutig zu machen, genügt es also, eines der beiden
Felder a4, b3 durch einen weißen Stein zu blockieren. Bedenklich wäre
es, dafür neues Material zu investieren. Hier aber kann die Rolle des wLa7
(b6 zu decken), ohne weiteres von einem wSa4 übernommen werden. Das kostet
nichts mehr und macht 1.Sb3? zur dann eindeutig bestimmten thematischen Verführung.
Den wLa7 völlig wegzulassen wäre dagegen nicht nur wegen der damit verbundenen
Fluchtfeldnahme (b6) im Schlüssel fragwürdig (wenn auch wegen der
Offensichtlichkeit
des Schlüsselsteins Sc5 und der gleichzeitigen Fluchtfeldgabe durch 1.Se6!
tolerierbar); sondern vor allem bedarf es einer gesonderten Deckung von b6, weil
sonst nach 1.- S~ (sowohl nach 1.Sb3 als auch nach 1.Se6) vermöge unseres
schon aufgefallenen Unglücksraben der Dual 2.Db6+! vorhanden wäre. Kombinationen
des Bannij- und des Salazar-Themas gibt es im Bereich des direkten Zweizügers
häufig, und sie unterliegen stets der Gefahr einer gewissen Blutleere. Die
in Nr. 14 angebotene Selbstmatt-Version dazu kann ebenfalls kaum als Werbung
dafür dienen: Die einzigen angängigen schwarzen Züge 1.- Lb8, Dh2
zielen beide auf das Feld f4, so daß man sich mit der Absicht, durch 2.Df4+
Selbstmatt zu erzwingen, gern im Schlüssel des wTg5 komplett entledigen würde.
Aber wohin soll man ihn ziehen? Die Felder g4 und f5 kommen wegen der damit verbundenen
Deckung von f4 (bzw. zusätzlich der Verstellung der wD) nicht in Betracht.
Aufgrund der auffälligen Diagonalsymmetrie um die Achse cl-h6 überrascht
in keiner Weise, daß 1.Tg3? unvorteilhaft die Linie h2-f4, 1.Te5? die Linie
b8-f4 versperrt, folglich mit 1.- D:h2! bzw. 1.- Lb8! widerlegt wird. Daher 1.Df4!
Lb8/D:h2 2.Tg3/Te5+. Der Unterschied zu einem #2-Mechanismus besteht allein darin,
daß hier die Verstellungen der schwarzen Linien zu meiden, nicht (wie in
einem #2) anzustreben sind. In den beiden besprochenen höher rangierenden
Aufgaben war demgegenüber der Selbstmatt-Gehalt aufgrund der in ihnen stattfindenden
Umdeutungen der Vorteilhaftigkeit/Nachteiligkeit der Wirkung eines Steins wesentlich
würziger! Die diagonale Mauer der drei weißen Bauern auf f3, e4, d5
macht zwar einen klobigen Eindruck, ist aber unverzichtbar: Bf3 muß die
f-Linie (gegenüber der wD) schließen, Be4 die e-Linie (gegenüber
dem wTg5 in der Verführung 1.Te5? sowie im Abspiel 1.Df4 D:h2 2.Te5+), und
ohne den Bd5 ginge nach 1.Df4 D:h2 auch unerwünscht 2.Tc5+!. Die
zugegebenermaßen muskulöse Nr. 15 hat dagegen deutlich mehr
Frische: Mit 1.T:f7+ bzw. 1.D:c6+ würde Weiß zwar unmittelbar einen
sS zum Schachgebot zwingen, doch unter Beseitigung jeweils einer dringend benötigten
Deckungsfigur, so daß das Feld d5 bzw. das Feld f6 zugänglich würde.
Könnte man die sD zum Schlag auf f3 zwingen, so hätte sie gleich beide
potentiellen Fluchtfelder unter Beschlag - aber auch die Felder f7 und c6, so
daß erneut beide Schachgebote pariert wären. Das Pikante an der ideenreich
erfundenen Matrix ist folgendes: Weiß kann versuchen, eines der Felder f6
bzw. d5 im 1. Zug zu besetzen, um die genannten Schachgebote zu drohen, beordert
dabei in jedem Fall die sD nach f3 und unterbindet zugleich jeweils eine der beiden
von dort oben beobachteten Deckungsfunktionen (bezüglich
f7, c6): 1.Lf6? [2.D:c6+ S:c6#] D:f3 2.T:f7+ S:f7#, aber 1.- c3!. 1.SdS! [2.T:f7+
S:f7#] D:f3 2.D:c6+ S:c6# In der Verführung hat der Zug 1.- D:f3 das Motiv,
(für den Fall, daß Weiß seinen Drohzug ausführt) den Zug
Df3:c6 zu ermöglichen. Wohl oder übel bringt das mit sich, daß
das auf der Linie f3-c6 liegende Feld d5 nochmals überdeckt wird. Da Weiß
bereits im 1. Zug die Deckungslinie f3-f7 unterbrochen hat, wird so 2.T:f7+ möglich.
Analog deutet sich das Geschehen nach 1.Sd5!, wobei die Rollen der Felder f6 und
d5 auszutauschen sind. Die Umdeutung des Zuges 1.- D:f3 von (für Schwarz)
nützlich zu schädlich sorgt für die Spannung in dieser Aufgabe,
gibt - wie schon die oben zitierten Preisträger - dem Ganzen Raffinesse.
Schwarz sorgt dafür, daß seine Dame zur Wirkung kommt - und Weiß
macht sich gerade diese Wirkung zu Nutze. Wieder liegt eine Motivinversion vor,
wenn auch eine "im weiteren Sinne", da die Wirkung der sD von Weiß
bezüglich eines anderen Feldes ausgenutzt wird als innerhalb des schwarzen
Verteidigungsplans. Es entsteht ein taufrischer Le Grand-Mechanismus, bei dem
das Selbstmattypische originär den Kern der Konstruktion ausmacht. Zwar gibt
es in Verführung und Lösung nur eine Variante - aber wieviel
Selbstmatt-Gehalt!
16
Walerij W. Kopyl Ewgenij A. Reitzen Rudenko - 70: "Janus",
2008 Preis
|
|
17
William A. Shinkman Lebanon Herald 1877 1. Preis
|
|
18
Jan A. Rusek Sahs 1963 1. Preis
|
|
|
|
s#2 |
(8+14) |
s#2 |
(9+11) |
s#2 |
(10+12) |
Die themagebundene
Selbstmattzweizüger-Abteilung erregte meine besondere Neugierde: Hatte ich
doch selbst beim 6. WCCT das Selbstmatt-Thema vorgeschlagen, das heute "Motivinversion"
genannt wird, und - Teilnehmer des Schleswig-Holsteinischen Problemkreises können
es bezeugen - eine Zeitlang mit dem Gedanken gespielt, es "Janus-Thema"
zu nennen. Und jetzt fand sich, völlig unabhängig davon, gerade diese
ja nicht alltägliche Bezeichnung in der Ausschreibung von Valentin Rudenko!
Offenbar hatte er dieselbe Assoziation gehabt: Jedes Ding hat zwei Seiten ...
Im Selbstmatt kann eben ein von einer Partei zu seinem Nutzen betrachteter Zug
von der anderen Partei zu ihrem Nutzen ausgeschlachtet werden. Der doppelgesichtige
Kopf des römischen Gottes Janus steht symbolhaft für gerade diese Zwiespältigkeit;
daher paßt dieser Name zu dem Thema. Allerdings hatte ich damals den Eindruck
gewonnen, die eigentliche Stärke der Idee werde sich erst bei Drei- und Mehrzügern
erweisen. Deswegen wurden im 6. WCCT Selbstmatt-Drei- und -Vierzüger verlangt,
jedoch keine -Zweizüger. Das
ganz im Gegensatz dazu auf die Zuglänge 2 beschränkte Rudenko - 70 -
Turnier brachte in Sachen Janus allerdings nur einen einzigen Preisträger
hervor: Nr. 16, eine zwar gut konstruierte Aufgabe, die aber im Stil ansonsten
eher an längst vergangene Zeiten erinnert: Man sieht keine Wechsel-Thematik,
keine Verführungsthematik, keine Zyklen - inhaltlich einfach gar nichts,
was die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte aufnimmt. Schon Shinkman experimentierte
farbenfroh mit einer weißen K-Batterie im s#2, siehe etwa Nr. 17, deren
Lösung es an Frische durchaus mit Nr. 16 aufnehmen kann: Nach dem schönen
Schlüssel 1.Db6! mit der Drohung 2.Dd4+ ist das Verteidigungsmotiv von 1.-
a:b6 im "Theorie-Deutsch" die Verunmöglichung des Zuges Db6-d4+
(technisch hervorgerufen auf die simpelste Weise: durch Wegschlagen des Akteurs).
Was aber nutzt Weiß an dem Verteidigungszug aus? Es folgt 2.Kb4+ Td4/T:b2#,
und wir sehen, daß es die im Verteidigungssinne ganz unerhebliche Verunmöglichung
des Zuges Kb4-c5 ist, die das Nutzungsmotiv darstellt. Während im direkten
#n das Auseinanderklaffen von Verteidigungs- und Nutzungsmotiv (mit Ausnahme von
Pattkombinationen) geradezu denknotwendig ist, macht das Selbstmatt die Übereinstimmung
derselben möglich und zu einem interessanten Phänomen mit paradoxem
Gehalt (eben die Motivinversion). In Nr. 17 sehen wir davon weder nach
1.- a:b6 etwas noch in der Nebenvariante 1.- S:f6 (Verteidigungsmotiv: Ermöglichung
des Zuges Ke5-f4) 2.Dc7+ (Nutzungsmotive: Verunmöglichung der Züge Se8:c7,
Se8-d6, Ke5:f6) Td6#, ebensowenig in der zweiten, "krönenden"
Hauptvariante:
Das Verteidigungsmotiv von 1.- Lf2 ist nicht, dem wK das Feld d2 zugänglich
zu machen, sondern die Wirkung des sL von e1 auf das Feld c3 aufzuheben. Verunmöglicht
wird also die sich nach 2.- T:d4 eröffnende Zugmöglichkeit Le1:c3 (von
der man ja nur deswegen nicht spricht, weil das würdelose Geschlagen-Werden
im Falle des vornehmen Königs per Sonderregelung unterbunden wird). Zusätzlich
zu dem jetzt fehlenden Schachgebot - aber das ist danach nur eine formale Vervollständigung
der Motiv-Analyse - eröffnet 1.- Lf2 nach 2.Dd4+ jetzt auch die ebenfalls
kein Matt ergebende Zugmöglichkeit 2.- L:d4+; und da auch diese allein bereits
die Drohung widerlegen würde, muß man bezüglich der Verteidigung
gegen die weiße Drohung im Zug 1.- Lf2, streng genommen, ein Doppelmotiv
konstatieren (was man, in sinnvoller Anlehnung an neudeutschen Sprachgebrauch,
durchaus als "Motivunreinheit" bezeichnen könnte). Festzuhalten
bleibt, daß das, was von Weiß nach 1.- Lf2 genutzt wird, von den
beschriebenen
Verteidigungmotiven vollständig abweicht: Das Nutzungsmotiv ist die Ermöglichung
des Zuges 2.Kc3:d2+, die als bloßer Begleiteffekt der Verteidigungsmotive
von 1.- Lf2 separat von diesen in Erscheinung tritt. Nr.
16 enthält eine Variante, die an die zuletzt beschriebene von Nr. 17 erinnert:
Nach 1.c4! droht 2.L:e5+ f:e5#, und jede Fluchtfeldbeschaffung für den wK
ist dagegen eine Verteidigung. Der Ablauf der Variante 1.- Td2 2.K:e3+ T:d3# nun
wirkt auf den ersten Blick wie eine Diagonalversion der Shinkman-Variante 1.-
Lf2 (allerdings ohne Aufgabe einer Batterie-Stellung). Im Unterschied dazu ist
aber hier das Verteidigungsmotiv von 1.- Td2 (gegen die Drohung 2.L:e5+) die Ermöglichung
des Zuges 2.Kd4:e3 und damit zugleich das weiße Nutzungsmotiv: Da haben
wir sie, ganz anders als bei Shinkman: die zuggenaue Motivinversion! Ähnlich
nutzt Weiß auch nach 1.- b3/f:g4 das Verteidigungsmotiv des Schwarzen, nämlich
die Ermöglichung eines weißen K-Zuges, durch 2.Kc3+/Ke4+ mit der Folge
2.- D:d3#. Ein besonderer Pfiff der Aufgabe liegt in dem weiteren Abspiel 1.-
D:a4 2.c5+ K:c6#, denn das Motiv von 1.- D:a4 ist die Ermöglichung des Zuges
K:c6 (um auf den Drohzug 2.E:e5+ nach c6 zu laufen); aber daß dieser Zug
nun möglich geworden ist, ist das, was Weiß mit 2.c5+ dankbar ausnutzt!
Damit wird auch das Motiv von 1.- D:a4 genau invertiert, diesmal erhält der
schwarze König ein Fluchtfeld und wird zum Batteriestein. Die beiden im
Preisbericht
angegebenen Satzvarianten 1-b:c3/Db3 2.K:c3+/L:e5+ D:d3/f:e5# erscheinen etwas
unmotiviert, doch im übrigen handelt es sich ohne Zweifel um ein ausgezeichnet
konstruiertes, reichhaltiges Stück, das auch 130 Jahre nach Shinkman noch
interessant ist. Nur hat man leider nicht gerade das Gefühl, daß hier
in die Zukunft gewiesen wird! Tatsächlich
war es gerade eine solche Verwendung einer weißen K-Batterie, wie sie in
Nr. 16 zur Realisierung des Vorwurfs der Motivinversion benutzt wurde, die seinerzeit
bei der Themenstellung für das WCCT einmal auslösende Funktion gehabt
hatte, nämlich in Form von Nr. 18; genau diese Aufgabe hatte seinerzeit
für die allgemeine Idee von der zuggenauen Motivinversion Pate gestanden:
Nach 1.a3! [2.Dc6+] ist einziges Motiv des Zuges 1.- Sc3, den weißen K-Zug
Ke5:d4 zu ermöglichen (so daß 2.Dc6+? K:c6+ kein Matt ist). Weiß,
nicht faul, nutzt genau diese neu geschaffene Möglichkeit: 2.K:d4+! und erzwingt
das Abzugmatt 2.- Sd5#. Ebenso bezüglich f4: 1.- Sg3 2.K:f4+ Sf5#. Der
K-Batterie-Mechanismus
als Grundlage einer Motivinversion ist damit mindestens 45 Jahre alt; persönlich
hätte ich gehofft, daß nicht gerade genau dasjenige Prinzip an der
Spitze landen würde, das mir als historische Keimzelle der Idee (Nr. 18)
galt. Der Preisträger des Turniers weiß aber die Frische der Shinkman'schen
Konzeption mit dieser betagten Art von Motivinversion überraschend zu vereinen
und übertrifft selbstredend die beiden anderen zitierten Probleme deutlich
an Reichhaltigkeit.
19
Hartmut Laue V. Rudenko - 70: "Janus", 2008 1.
Ehrende
Erwähnung
|
|
20
Udo Degener Springaren 1999 2. Ehrende Erwähnung
|
|
21
Otto Burr V. Rudenko - 70: "Janus", 2008 2. Ehrende
Erwähnung
|
|
|
|
s#2 |
(11+12) |
s#2 |
(8+13) |
s#2 |
(12+14) |
Möglicherweise
besser geeignet für eine Verbindung mit moderneren Ideen ist die "farbvertauschte
Version" der eben geschilderten Motivinversion, wie sie in Nr. 19
zu sehen ist: Es geht hier um eine schwarze K-Batterie, die Weiß nur deswegen
noch nicht sofort zum Abschuß zwingen kann, weil der sK nach keinem der
Züge 1.Dc3+, 1.Db5+, 1.Dc4+, 1.Db3+ die wD schlagen kann. Der Versuch 1.d:e3?
[2.Dc3+] kann aber von Schwarz eben deswegen mit 1.- T:e2! widerlegt werden, weil
Weiß dem Feld c3 die Deckung durch den wBd2 entzogen hat, denn sonst ginge
nun 2.Db5+. Ähnlich verhält es sich mit dem Versuch 1.Ld1? [2.Db5+],
um dem Feld b5 die störende Deckung zu nehmen: Er scheitert an 1.- e:d2!,
weil nun Weiß bei 2.Dc3+? die Deckung von b5 eben doch gebraucht hätte!
Dagegen kann Weiß sowohl aus 1.- T:a5 als auch aus 1.- T:d2 Kapital schlagen:
2.Dc4+ K:c4# bzw. 2.Dd4+ Kb5/T:d4#. Weiß darf nicht selbst die störende
Deckung von c3 bzw. b5 beseitigen, sondern muß Schwarz dies machen lassen.
Dies gelingt durch 1.g:f5! Angesichts der Drohung 2.De4+ sucht Schwarz sich die
Felder c3 bzw. b5 zugänglich zu machen: 1.- e:d2/T:e2. Daß nun nach
Wegzug der wD dem sK das Feld c3 bzw. b5 zugänglich ist, ist gleichzeitig
Verteidigungsmotiv wie Nutzungsmotiv, denn Weiß weist jetzt das Doppelgesicht
jener Janus-Züge nach durch 2.Dc3+/Db5+ K:c3/K:b5#. Man beachte, daß
die Drohzüge (Dc3, Db5) der Verführungen als Antwortzüge in der
Lösung auftauchen, und zwar jeweils nach den ehemaligen schwarzen Widerlegungen
(e:d2, T:e2) der Verführungen in vertauschter Zuordnung; die Motivinversions-Matrix
bringt also als Geschenk das Hannelius-Thema mit sich. Zusätzlich hält
die (im Lösungsspiel ebenfalls Motivinversion zeigende) Variante 1.- T:a5
2.Db3+ K:b3# gegenüber der Verführung 1.Ld1? einen Fortsetzungswechsel
bereit. Schließlich sind zwei Nebenvarianten zu erwähnen, die den Unterschied
zwischen Motivinversion im engeren Sinne und im weiteren Sinne deutlich machen:
Das Verteidigungsmotiv von 1.- Dh4 besteht in der Ermöglichung des Zuges
Dh4-e4. Der Einsatz der Kraft der sD auf der 4. Reihe wird nun von Weiß
genutzt, aber nicht auf dem Feld e4, sondern auf dem daneben liegenden, durch
den schwarzen Damenzug von dieser jetzt ebenfalls erreichbaren Feld d4: 2.Dd4+
D:d4#. Ähnlich postiert Schwarz mit 1.- Dg2(h1) seine Dame auf der weißfarbigen
Diagonalen, um den Zug Dg2(h1)-e4 zur Verfügung zu haben. Weiß nutzt
eben diesen diagonalen Einsatz der sD, aber nicht auf dem Feld e4, sondern auf
dem Feld c6: 2.Sc6+ D:c6#. Im Preisbericht werden die beiden letzteren Varianten
als reine Nebenvarianten nur in Klammern aufgeführt. Das deutet darauf hin,
daß auch Valentin Rudenko das Thema nur im engeren Sinne, also zuggenau
verstanden wissen wollte. In der Tat ist auch nur dann der Effekt wirklich prägnant
und begrifflich scharf faßbar. Die beiden Varianten erinnern an Nr. 15,
in der ebenfalls eine sD zum Einsatz gebracht wird und sich das Feld der weißen
Nutzung (d5 bzw. f6) von dem des schwarzen Verteidigungsmotivs (c6 bzw. f7) unterscheidet.
Für eine motivreine
Darstellung des "Janus"-Effektes in Nr. 19 war es natürlich nötig,
eine Drohung durch einen Zug der wD zu finden, der sowohl die Deckung von c3 als
auch die von b5 aufgibt. Denn nur dann ist gewährleistet, daß die Entfernung
des wBd2 bzw. wLe2 als Verteidigung wirklich dem Ziel der Fluchtfeldbeschaffung
auf c3 bzw. b5 dient und nicht etwa aus irgendeinem anderen Grund erfolgt. Als
Drohfeld bot sich damit eigentlich nur e4 an. Die Freude über die tatsächliche
Realisierung wurde bald gedämpft, als ich am Ende feststellen mußte,
daß die Matrix - wie oben beschrieben -das Hannelius-Thema zur Darstellung
bringt: Wußte ich doch genau, daß die schon vor vielen Jahren zu beobachtende
sportliche Emsigkeit, Themen des Direktmatts in das Selbstmatt zu übertragen,
damit die Gefahr einer Vorgängerschaft heraufbeschwor. In der Tat zeigte
sich, daß mein Grundschema bei Bemühungen um das "Hannelius-Thema
im Selbstmatt" bereits entdeckt worden war; die größte Nähe
findet sich in Nr. 20: Die schwarze Batterie zielt von f6 nach c3, und
die neuralgischen Felder sind f4 (gedeckt durch wD und wLd2) und e6 (gedeckt durch
wD und wBd5). Die Verführungen 1.d6? [2.De6+] T:d2! und 1.Le1? [2.Df4+] c:d5!
zeigen im Zusammenhang mit den Lösungsabspielen 1.Lg6! [2.Dd4+] c:d5/T:d2
2.De6+/Df4+ K:D# ganz ähnlich wie in Nr. 19 das Hannelius-Thema. Jedoch merkt
man an der Variante 1.- T:d2, daß der Autor offenbar gar nicht an der Motivinversion
interessiert war: Das Verteidigungsmotiv dieses Zuges ist nämlich die Ermöglichung
des Zuges Kc3:b4 (für den Fall, daß Weiß seinen Drohplan 2.Dd4+
c:d4+ ausführen sollte); das Eliminieren des wLd2 ist dabei rein akzidentell,
weil der sTb2 schlicht kein anderes Feld zur Aufgabe der Deckung von b4 hat als
das Feld d2. Die damit einhergehende Beseitigung der Deckung von f4 hat also mit
dem Verteidigungsmotiv nicht das Geringste zu tun, ist aber das, was Weiß
an diesem Zug ausnutzt: Ermöglichung des Zuges Ke5:f4 nach 2.Df4+!. Wenn
auch Nr. 20 nicht das thematische Ziel von Nr. 19 hat und somit kein Beitrag zu
dem von Rudenko gestellte Thema wäre, so nimmt sie doch in ihrer Matrix ganz
wesentliche Teile vorweg. Trotzdem empfand ich die Weiterentwicklung durch Nr.
19 in Richtung auf das Gedankengut der Motivinversion gerade angesichts der "Janus"-Themenstellung
als hinreichende Rechtfertigung, Nr. 19 zu dem Turnier einzusenden, selbstverständlich
unter deutlicher Angabe der Nr. 20 im Diagramm. Umso erstaunter war ich bei Empfang
des Preisberichts darüber, daß a) die Aufgabe eine hohe Auszeichnung
(die zweithöchste der Gruppe) erhalten hatte, vor allem aber darüber,
daß b) darin auf Nr. 20 (oder evtl. einen anderen Vorläufer) in keiner
Weise irgendein Hinweis zu finden war! Nr.
21 hat zwar nur eine Phase zu bieten, darin aber ziemlich starken Tobak: 1.Le6!
droht 2.T:c3+ S:c3#. Jede Entfesselung der sD durch Verstellung des wTd8 verteidigt
dagegen, da sie den Zug Dd4:c3 (nach Ausführung der weißen Drohung)
ermöglicht. In der Erwartung einer Motivinversion im engeren Sinne stutzt
man schon: Wie soll denn die Ermöglichung genau dieses schwarzen Damenzuges
von Weiß genutzt werden können? Hatten wir nicht gerade zuvor bei Nr.
19 der Varianteneinordnung des Richters entnommen, daß er Motivinversionen
im weiteren Sinne als unthematisch ansehe? Bei Nr. 21 ist aber plötzlich
1.- Ld7 2,Lc4+ D:c4# als Themavariante aufgeführt, obwohl sich der Motivationszug
der Verteidigung (Dd4:c3) von dem der weißen Nutzung (Dd4:c4) klar unterscheidet!
In der Themenformulierung heißt es: "Same tactical idea of Black's
first move is used both for strengthening (defending against the threat) and weakening
(motivating White's 2nd-move response)". Da ist also keine Rede von engem
oder weitem Sinn, sondern von einer nicht näher definierten "taktischen
Idee". Man mußte sich offenbar dem Geschmack des Richters (der allerdings
sicherlich kein schlechter ist) anvertrauen in der Frage, was als solche Anerkennung
finden wurde und was nicht. Hier jedenfalls geht es nicht um zuggenaue Motivinversionen,
sondern um strategische Effekte (nämlich Entfesselungen), die eigentlich
eine ganz andere Schublade betreffen! Abgesehen von solcher Irritation bezüglich
ungleichen Maßes an thematischer Rigorosität bei der Behandlung der
Einsendungen wird man aber nicht bestreiten, daß Nr. 21 ein hervorhebenswertes
Selbstmatt ist: Stellt man sich eine sozusagen "gesichtslose" schwarze
Figur vor, die die Fesselung der sD aufhebt, so hat Weiß prinzipiell zwei
passende Antworten darauf: 2.1x4+ (wie schon gesehen), aber auch 2.Sb4+ nebst
2.D:b4# - nur scheidet letztere nach 1.- Ld7 wegen der damit "zufällig"
einhergehenden Fesselung des wScö aus. Mit 1.- Td5 kann Schwarz seine Dame
auch so entfesseln, daß der wLeö von c4 abgeschnitten wird - und dann
verbleibt 2.Sb4+ D:b4#. Die beiden bislang betrachteten (Entfesselungs-)Paraden
zeigen damit Dualvermeidung. Alle beide weißen Antworten verhindert nun
der dritte mögliche Entfesselungszug 1.- Sd5(!): Offensichtlich
wird der Läuferzug nach c4 durch Verstellung unterbunden; aber - wie etwa
die Satzstellung belegt - selbst wenn 2.Lc4+ möglich wäre, käme
es damit wegen der mit 1.- Sd5 vollzogenen Entfesselung der wD nicht zum Matt:
insofern ist auch 1.- Sd5 hinsichtlich der Verteidigung gegen 2.Lc4+ doppelmotivisch.
Darüber hinaus verteidigt 1.- Sd5 auch gegen das Springerschach auf b4 -
wieder motivunrein: durch die Ermöglichung des Zuges Sd5:b4 sowie die des
Zuges Dc5:b4 aufgrund der Entfesselung der wD. Letztere ist es, die Weiß
nun abschließend nutzt: 2.Dc4+ D:c4#. Man beachte, wie dabei das
(Teil-)Verteidigungsmotiv
(von 1.-Sd5) der Ausschaltung des Zuges Le6:c4 zum weißen Vorteil genutzt
wird. Die Steigerung der dualvermeidenden Entfesselungen 1.- Ld7/Td5 zur fortgesetzten
Verteidigung 1.- Sd5(!) ist gut gelungen. Die durchaus knifflige Motivanalyse
jedoch zeigt, daß die Stärke des Problems eher in seinem komplexen
strategischen Gehalt begründet ist als in seinen Motivinversionen: Alle diese
sind nämlich nur solche im weiteren Sinne, und die krönende Variante
1.- Sd5 in doppelter Hinsicht motivunrein. Es
folgen noch ein ehrend erwähnter Einphaser von M. Marandyuk, in der Motivinversionen
(im engeren Sinne) erneut durch den sK als Batteriestein (nach demselben Grundprinzip
wie in Nr. 19, aber in völlig anderem Schema ohne Wechsel-Ambitionen) erzeugt
werden, und eine belobigte Aufgabe von M. Khramtzow, in der alle drei Varianten
wieder nur Motivinversionen im weiteren Sinne zeigen. Insgesamt bestätigt
der Preisbericht, daß es für Motivinversionen im Selbstmattzweizüger
wahrscheinlich keine genügende Breite gibt, wenn man sie sich als Hauptthema
vornimmt und sie in der zuggenauen Form darstellen möchte. Das wird erst
ab der Zügezahl 3 anders, wofür es inzwischen zahlreiche Beispiele gibt.
Dennoch zeigt das Turnier, vor allem im thematisch freien Teil der Selbstmatt-Abteilung,
daß Motivinversionen als Ingredienz auch bei Selbstmattzweizügern für
Tiefe sorgen können: Bringen sie doch unfehlbar, aus ihrer Natur heraus,
selbstmattypischen Gehalt in die Aufgabe. Das gilt in der Regel auch für
Motivinversionen im weiteren Sinne. Solche festzustellen sagt nur etwas über
die Natur des Mechanismus, nicht aber über die Qualität der betreffenden
Aufgabe aus, soll also allenfalls innerhalb der thematischen Bindung eines darauf
ausgerichteten Turniers, nicht aber im absoluten Sinne als negative Kritik verstanden
werden. Alle Freunde des Selbstmatts schulden Valentin Rudenko besonderen Dank
dafür, das Gebiet des Selbstmattzweizügers und insbesondere den mit
Ja-nus" benannten Effekt durch sein Turnier in allgemeine Aufmerksamkeit
gerückt zu haben. Und hört man diesen römischen Gott nicht aus
historischer Feme raunen: ad multos annos..." ?
|