Todesfälle
Zwei Todesfälle trübten den Jahreswechsel. Nach
längerer Krankheit verstarb Günther Weeth
(13.8.1935-28.12.2020). Mit ihm verliert die Schwalbe und
insbesondere die Retro-Gemeinde einen unermüdlichen Kämpfer, der
sich mit viel Engagement auf Anticirce-Verteidigungsrückzüger
spezialisiert und intensiv mit Wolfgang Dittmann und Klaus Wenda
zusammengearbeitet hatte.
Ein ausführlicher Nachruf auf ihn wird im nächsten Heft erscheinen.
Auch Yoav
Ben-Zvi (3.6.1957-31.12.2020) aus Jerusalem war auf Retros
spezialisiert; als er 2012 in den Ruhestand ging, entdeckte er seine
alte Liebe zum Problemschach neu und wurde auch Schwalbe-Mitglied.
Weitere Informationen über die beiden Verstorbenen sind in Thomas
Brands Retro-Blog zu finden.
Kalenderblatt
Als vor Jahren in der Schwalbe ein Geburtstagsartikel für den unvergessenen
Hans-Heinrich
Schmitz erschien, bedankte der sich und fragte kritisch nach, weshalb
ihm diese Ehre widerfahre, aber anderen verdienten Mitgliedern wie
beispielsweise Artur Mayer (13.2.1916-16.1.1996) nicht.
Ich musste passen, weil mir der Name nicht geläufig war. Es waren
Recherchen nötig, um herauszufinden, dass der vor nunmehr 25 Jahren
verstorbene Artur Mayer, der genau einen Tag jünger als HHS war, ab
1949 in der Nachfolge von Wilhelm Hagemann als Lösungssachbearbeiter
tätig war. Diese eher im Hintergrund ablaufende Arbeit führte Mayer
fast ein Jahrzehnt lang fort bis zur Schwalbe-Krise von 1958, als ein
Jahr lang kein Heft mehr erschien. Er scheint nicht komponiert zu
haben, denn weder in der Schwalbe noch in der PDB sind
Aufgaben dieses Autors geführt. So gehörte er wohl zu den ruhig im
Hintergrund arbeitenden Mitarbeitern, ohne die eine Vereinigung wie
die Schwalbe nicht funktionieren kann.
Ernst Otto Martin
Basler Nachrichten 1955
2. Preis
#3 (9+9)
Der Leipziger Ernst Otto Martin (19.1.1886-14.1.1971)
erlernte das Schachspiel mit 17 Jahren, nur ein gutes Jahr später
publizierte er schon sein erstes von insgesamt etwa 700 bis 800
Problemen. Er komponierte in allen Genres (einschließlich Retros und
Studien), ein besonderes Kennzeichen seiner Probleme lag in der
Löse-Schwierigkeit. In seinem Baseler Preisträger wird der
Brennpunktstellung der schwarzen Dame in eindrucksvoller Weise zu
Leibe gerückt; nicht etwa grob durch 1.D:f6 mit den Drohungen
2.Sd,h4# (denn nach 1.- c:d2 hat Schwarz das Fluchtfeld e3). Zum
Ziel führt 1.De6! mit der stillen Drohung 2.Df7 (nebst 3.Dh5 oder
S~#). Nach 1.- Dh8 behält die schwarze Dame beide Brennpunkte im
Auge, aber Weiß setzt wiederum mit einem feinen Zug fort: 2.Dg8!\
(droht 3.Dg4#), wonach Schwarz sich der Drohungen nicht mehr erwehren
kann. Vor 50 Jahren ist der Autor verstorben.
Bernhard Rehm
Die Schwalbe 1970
s#12 \set (1+4)
Bernhard Rehm (14.1.1899-26.1.1971) war ein begeisterter
Freund des Märchenschachs und ein produktiver Komponist, der nach
Schätzung seines nicht mit ihm verwandten Namensvetters Hans Peter
Rehm etwa 1200 bis 1500 Probleme komponierte. Neben Längstzügern und
Hilfsmatts reizten ihn besonders Märchenfiguren, die neuartige, im
orthodoxen Schach unmögliche Effekte ermöglichen, wie der häufig
von ihm verwendete Grashüpfer. So auch in der Beispielaufgabe, in der
der weiße Rex solus einen großen Tanz hinlegen muss, um am Ende das
parat liegende Satzmatt 1.- Lf2# zu erreichen (Im Schachzickzack
zieht Schwarz nur, wenn er Schach bieten kann): 1.Kg2 Lf2+ 2.Kh3 Lg3+
3.Kg4 4.Kf5 Lf4+ 5.Ke6 8.Kb3 9.Kc2 10.Kd1 11.Ke1 Lg3+ 12.Kf1 Lf2#.
Ludvik Štěpán
Problem 1956
s#5 (9+2)
Der tschechische Komponist Ludvik Štěpán
(7.2.1904-13.1.1971) komponierte überwiegend Märchenschachprobleme
(ein Begriff, der damals auch noch Hilfs- und Selbstmatts umfasste);
auf diesem Gebiet gewann er in den 1960er Jahren auch eine
tschechische Meisterschaft. Ilja Mikan hat ihm in seiner Galerie-Reihe ein Heft (No.
10, 1972) gewidmet mit biographischen
Angaben, die sich mir sprachlich leider nicht erschließen, und mit
mehr als 200 seiner Probleme. Daraus eine Aufgabe, die auch Eingang
ins FIDE-Album fand: 1.Tb2 e:d5 2.Db6+ Kc3 3.Kd1 d4 4.Te1 d3 5.Tc2+
d:c2#, 1.- e5 2.Ld1 e4/Kd3 3.Le3 e4/Kd3 4.Lf2 e3 5.Td2+ e:d2#
Unsere beiden weiblichen Ehrenmitglieder Irma Speckmann
(7.1.1921-5.9.2016) und Helga Hagedorn
(13.2.1921-14.3.2007) hätten jetzt ihren 100. Geburtstag feiern
können. Ihr großer und selbstloser Einsatz für unsere Vereinigung
in so "attraktiven" Gebieten wie den Kassenangelegenheiten und dem
Bücherverkauf bleibt unvergessen.
Helmut Klug (28.1.1921-7.4.1981) gehörte zu den
Gründungsmitgliedern der DDR-Problemkommission. Er organisierte
viele der DDR-Förderungsturniere für Nachwuchskomponisten. 1960
gründete er zusammen mit Herbert Küchler und Manfred Zucker eine
Schachecke, die ab 1963 als Chemnitzer Freie Presse sehr
bekannt wurde und bis zum Tod Manfred Zuckers fortgeführt wurde
(siehe dazu auch das Kalenderblatt in Heft 269).
David Joseph
Československá Republika
1923
Gewinn (3+3)
David Joseph (21.2.1896-23.8.1984) war ein bescheidener
englischer Partiespieler, der vor 125 Jahren geboren wurde und von dem
wenig mehr bekannt ist als eine gegen Capablanca gespielte
Simultanpartie (die er verlor) und eine Handvoll Studien, die in
Harold van der Heijdens Studiensammlung aufgenommen sind. John Roycroft
schrieb 1972, dass Joseph etwa 50 Studien komponierte, sich aber nicht
um deren Veröffentlichung kümmerte, weil er nur zum eigenen
Vergnügen komponierte. Dass er, der auf keinerlei öffentliche
Wirkung aus war, dennoch berühmt wurde, liegt an einer einzigen
Studie, die er 1921 während einer Bahnfahrt schnell aufs Brett
zauberte und die in einer nicht durchkomponierten Fassung am 27.
Dezember 1921 irgendwie den Weg in die Öffentlichkeit fand -
übrigens ohne Angabe des Autornamens, der erst zwei Monate später im
British Chess Magazine genannt wurde. Das Diagramm zeigt
die heute meistgezeigte Version, die von einem unbekannten
(tschechischen?) Komponisten stammt: 1.b6+ (1.h4? a:b5
oder 1.b:a6 b5) 1.- Kb8! (1.- K:b6? 2.h4 gewinnt)
2.h4 a5 3.h5 a4 6.h6 a3 7.h7 a2 6.h8D a1D und jetzt kann
Weiß die Da1 nicht schlagen wegen patt. Daher 7.Dg8
(7.De8? Dg7 gibt den Gewinn aus der Hand) 7.- Da2 8.De8
(8.Df8? Da3! remis) 8.- Da4 9.De5+ Ka8 10.Dh8 und Weiß
gewinnt, da die Patt-Verteidigung nicht mehr geht.
Sören Anton Sörensen (31.1.1840-11.2.1896) widmete sich
sowohl dem Partie- als auch dem Problemschach. Zusammen mit O.
Malmqvist gab er die von 1873 bis 1881 in Kopenhagen erschienene
Zeitschrift Nordisk Skaktidende heraus, in der er eine
stark beachtete Reihe eröffnungstheoretischer Artikel publizierte.
Gemeinsam mit dem schwedischen Komponisten Alfred Arnell legte er eine
Sammlung der besten dänischen Probleme an, die 1879 unter dem Titel
Nordiske Skakproblemer fra Tiden 1858-78 in Buchform
erschien.
Alois Wotawa
Deutsche Schachzeitung
1957
Remis (4+6)
Das Studienschach im deutschsprachigen Raum lag vor längerer Zeit
ziemlich darnieder, bevor eine neue Generation jüngerer Komponisten
für Furore sorgte; genannt seien hier die Namen Jürgen Fleck,
Michael Roxlau und ganz besonders Martin Minski. Eine ähnliche
Situation gab es auch etwa 80 Jahre früher. Mitte der 1930er Jahre
wurde in einem Turnierbericht bedauert, dass der Versuch, die
Komposition von Endspielen anzuregen, gescheitert war, da nur eine
korrekte veröffentlichungswürdige Studie vorgelegt wurde. Ungefähr
zu dieser Zeit begann der Wiener Jurist Alois Wotawa
(11.6.1896-12.4.1970) mit ersten systematischen
Kompositionsversuchen, und er sollte, quasi im Alleingang, der Misere
innerhalb weniger Jahre ein Ende bereiten. Im Lauf der Jahre schuf er
etwa 350 Studien, die er überwiegend in der Deutschen
Schachzeitung veröffentlichte. 1965 publizierte er eine 150 Studien
umfassende Auswahl seiner Werke in dem Buch Auf Spurensuche
mit Schachfiguren. Wotawas Studien zeichnen sich oft durch ein
kurzes, prägnantes Spiel aus, so auch das hier gewählte Stück, in
dem
Weiß sich in ein überraschendes Patt rettet: 1.Td6+
Ka7 2.Lf2+! g:f2 und der Patt-Käfig ist schon fast fertig; nur der
Bf2 muss noch gedeckt werden. 3.Td4!! Falls Schwarz das
Turmopfer annimmt, gibt der andere Turm solange Schach auf der b-Linie,
bis Schwarz ihn schlägt und damit das Patt erreicht. Daher 3.- De8,
und jetzt verheizt Weiß auch noch sein letztes Holz:
4.T:a4+ D:a4 5.Ta2!, weil 5.- D:a2 wiederum das Patt
sichert (oder 5.- Da6 6.T:a6+ K:a6 7.K:f2=).
Es liegt noch nicht lange zurück, als (in Heft 289) an den
ägyptischen Märchenschach-Komponisten Gabriel G. Nasra
Bey (1871-1943) und seine Greetings from Egypt an T. R.
Dawson erinnert wurde. Jetzt wäre er 150 Jahre alt geworden.
Alexander Henry Robbins
Southern Trade Gazette
1885
1. Preis
#2 (8+7)
Ungefähr 250 Probleme komponierte der vor 175 Jahren in Boston
geborene amerikanische Komponist Alexander Henry Robbins
(22.2.1846-21.2.1906), der später in Saint Louis lebte und seine
Urlaube öfter in der Nähe von Grand Rapids verbrachte, wo er W. A.
Shinkman besuchen und dabei Inspiration für seine Problemkomposition
tanken konnte.
Der Zweizüger aus seinem Schaffen zeigt mit 1.Dc3! einen für die
Zeit typischen spektakulären Schlüssel mit dreifachem Damenopfer. Er
ist, worauf A. C. White 1942 hinwies, auch ein sehr frühes Beispiel
fürs Halbfesselungsthema (z. B. nach 1.- Tb5 2.D:d4# und 1.-
Tc:c4 2.Sb4#), das erst Jahrzehnte später zu Good-Companions-Zeiten
in Mode kam.
Der zwischen Klassik und Romantik einzuordnende Dichter Johann Jakob Wilhelm
Heinse (15.2.1746-22.6.1803), dessen Geburtstag
mittlerweile 275 Jahre zurückliegt, hat sich in seinem Werk intensiv
mit verschiedenen Künsten auseinandergesetzt. 1776/77
veröffentlichte er Briefe über einige Gemälde der
Düsseldorfer Galerie, die in der Kunstgeschichte eine Abkehr von den
Idealen der Klassik einleiteten. Auch sein Hauptwerk Ardinghello und die glückseligen
Inseln ist voll von Gesprächen
über die Malerei, und sein Roman Hildegard von Hohenthal
enthält bedeutende Ausführungen zur Geschichte der italienischen
Oper und der Gesangskunst. Seine vielseitigen Interessen endeten
schließlich in dem in seinem Todesjahr erschienenen Briefroman
Anastasia und das Schachspiel. Darin erzählt er in
Briefform von der schönen Griechin Anastasia und deren Schachkunst.
Heinse griff dabei kenntnisreich auf die zeitgenössische
Fachliteratur zurück: auf die Lehren von Philidor, die Schachschule
von Modena und auf Giambattista Lollis Osservazioni
teorico-pratiche sopra il giuoco degli scacchi ...; auch die von
Lolli angegebenen 33 künstlichen Endspiele, Vorläufer unserer
Probleme, sind von Heinse wiedergegeben. Vor einem knappen Jahrhundert
bedauerte der Wiener J. Krejcik in der Wiener
Schachzeitung, dass der Roman für Nicht-Schachspieler wegen der
umfangreichen Ausführungen zum Schachspiel schwer verdaulich sei und
andererseits für den Schachspieler zu viel literarisches Beiwerk
enthalte. Seine Absicht, das Werk so umzuarbeiten, dass beide
Interessengruppen davon profitieren, ist (glücklicherweise!?) nicht
realisiert worden.
(GüBü)