Sie befinden sich hier

Heft 230, April 2008

 


Aktuelle Meldungen
Axel Steinbrink: Im Dienste des Problemschachs -
Zum Gedenken an Manfred Seidel
Dieter Werner: Norbert Geissler 50 Jahre
Ausschreibung: Geburtstagsturnier Norbert Geissler 50
Entscheid im Informalturnier 1999, Abteilung Mehrzüger
Martin Minski: Beseitigung eines weißen Steins
Fritz Hoffmann: Halbiertes Schach
Entscheid im 200. TT der Schwalbe:
Remis-Studien mit vier Rochaden
Jürgen Kratz: Der Wagner-Zug
Hans Peter Rehm: MEIN Ideal für moderne (und alte) Selbstmatt-Mehrzüger
Urdrucke
Lösungen der Urdrucke aus Heft 227, Oktober 2007
Bemerkungen und Berichtigungen

397

398
402
403
403
406
417

418
419
422
427
435
451


MEIN Ideal für moderne (und alte) Selbstmatt-Mehrzüger
von Hans Peter Rehm, Pfinztal
1. Einleitung
Das neue Buch "The Art of Composing Selfmates" von Groß- und Weltmeister Petko A. Petkow ist für Selbstmattfreunde sehr lesenswert. Es enthält neben vielen interessanten Selbstmatts (meistens von Petko selber) eine Fülle von beachtenswerten Aussagen und Anregungen. Dabei versucht Petkow festzulegen, was ein ideales modernes Selbstmatt ist. Daher werden auch ästhetische Betrachtungen angestellt. Ich habe bemerkt, dass meine 'Ideale' viel weitherziger sind als die seinen. Da ich meine, dass die Diskussion ästhetischer Fragen wichtiger ist als technische Untersuchungen etwa zu gewissen Themen, will ich nach näherer Betrachtung einiger der von Petkow aufgestellten Regeln hier aufschreiben, was mir bei (strategischen) Selbstmatts besonders erstrebenswert erscheint.
Betrachten wir erst Petkows Standpunkt. Er schreibt, das 'Moderne ideale Selbstmatt' (MIS) müsse folgenden Anforderungen (Requirements) genügen (Übersetzung HPR):

1. EIN THEMA ODER EINE IDEE WIRD DEMONSTRIERT, DIE IN ANDEREN GENRES NICHT GEZEIGT WERDEN KANN. FALLS DAS THEMA DOCH DORT GEZEIGT WERDEN KANN, DANN SOLLTE ES SELBSTMATTSPEZIFISCH INTERPRETIERT SEIN.
2. VERLANGT IST EIN THEMATISCHER KOMPLEX MIT MINDESTENS ZWEI THEMATISCHEN VARIANTEN (AUSGENOMMEN DABEI: LOGISCHE SELBSTMATTS). DER SCHLÜSSEL SOLL EIN SCHWIERIGER STILLER ZUG SEIN MIT EINER DROHUNG IN VOLLER LÄNGE. ES SOLL KEINE DUALE IM MATTZUG ODER BEI DEN VERTEIDIGUNGSZÜGEN GEBEN. SCHLÄGE SCHWARZER STEINE, UNTHEMATISCHE WIEDERHOLUNGEN WEISSER ZÜGE ODER SCHWARZER MATTZÜGE SIND UNERWÜNSCHT.
3. DIE AUFGABE MUSS ORIGINELL SEIN UND NICHT EINE REVISION EINES ÄLTEREN PROBLEMS, WEDER VOM AUTOR SELBST NOCH VON EINEM ANDEREN AUTOR. (BESONDERS SCHLECHT IST ES, NUR WEITERE VARIANTEN AUF KOSTEN DER ÖKONOMIE ZUZUFÜGEN).
4. REKORDE ODER TASK-PROBLEME, IN DENEN OBIGE ANFORDERUNGEN VERLETZT SIND, SOLLTEN VERMIEDEN WERDEN ( SIE ENTSPRECHEN SPORTLICHEN RESULTATEN OHNE KÜNSTLERISCHEN WERT).
5. EINE UNTERABTEILUNG VON MIS KÖNNTE 'DAS MODERNE STRATEGISCHE SELBSTMATT IN 'N' ZÜGEN' SEIN (MSSN). DAS MSSN IST EIN S# - MEHRZÜGER MIT MINDESTENS 3 VARIANTEN ODER EINER DROHUNG IN VOLLER LÄNGE UND 2 VARIANTEN.

Petko merkt an, dass in der harten Wirklichkeit das (sein) Ideal nicht immer erreicht werden kann, und der Komponist dann Kompromisse machen muss. Er ist dann ziemlich strikt in der Frage, welche Kompromisse für ihn zulässig sind und welche nicht.
Mir fällt auf, dass diese Ideale vor allem seinem (sehr erfolgreichen) Kompositionsstil abgeschaut sind. Vielen der obigen Anforderungen werden die meisten guten s# - Komponisten zustimmen, aber eben nicht allen. Wieder andere ästhetische Punkte, die anderen (und, wie man an seinen Aufgaben sieht, auch Petkow) wichtig sind, sind gar nicht erwähnt.
Es ist lobenswert, wenn jeder Komponist versucht, sein Ideal zu verwirklichen. Doch andere haben andere Ideale, und gerade das erzeugt die schöne Vielfalt in den Künsten. Zum Beispiel hat Camillo Gamnitzer vermutlich kaum ein Selbstmatt geschaffen, das dem Stil MIS oder MSSN gerecht wird, denn er erstrebt ganz anderes, wie etwa tiefsinnige und unerwartete Zusammenhänge zwischen den Zügen und Plänen. Wer möchte aber leugnen, dass Gamnitzer originelle moderne Selbstmatts baut?
Eine Gefahr von absolut gesetzen Vorschriften ist auch, dass Preisrichter sie mechanisch anwenden und alles abwerten, was eine der Vorschriften verletzt, auch wenn die Aufgabe sonst besonders schön und neuartig ist. Auf die Freiheit des Gestaltens und Beurteilens darf aber in keiner Kunst verzichtet werden.

  1 Michael Keller
feenschach 1977
1. Preis
s#3 (10+12)
1.Dg4! [2.d4+e:d3e.p. 3.Dd4+c:d4#] 1.-S:d2 2.Shg6+(Sfg6+?) T:g6/L:g6 3.Df5+/L:d6+ K:f5/K:d6#,
1.-T:d2 2.Sfg6+(Shg6+?) T:g6/L:g6 3.De4+/De6+ K:e4/K:e6#
II. Diskussion einiger der oben erwähnten „Anforderungen".
Punkt 1 wird wohl jeder zustimmen. Trotzdem bleibt die Frage: Was ist selbstmattspezifisch? Als abschreckendes Beispiel wird uns 1 vorgestellt: dort werde "ein bekannter orthodoxer Nowotnymechanismus um einen halben Zug verlängert". Richtig ist, dass es im direkten 3# mehrere Aufgaben gibt, bei denen ein Nowotnyschnittpunkt mehrfach mit Dualvermeidung und Mattwechsel besetzt wird. Viele werden hier aber sagen, dass die 4 verschiedenen Batteriematts des sK hinreichend viel Selbstmattflair einführen. Das Thema ist: Nowotnyauswahl mit Batteriematts des sK. Letzteres geht nur im s#. Außerdem ist die Einschaltung der Nowotnys durch T/S:d2 rein selbstmattartig, die Züge begründen die Nowotnyabspiele s# - spezifisch. Der genaue Blick zeigt zudem, dass gerade auch der Dualvermeidungsmechanismus selbstmattspezifisch ist, denn er beruht darauf, dass Weiß Kraft opfert (indem er die Deckung von e6/f5 aufgibt). Der richtige Springer ist so zu wählen, dass ein bestimmtes Schach kein Matt ist, was orthodox nicht klappen kann. Der Nowotny-Mechismus mit der Wahl der S-Züge ist also gerade NICHT orthodox. Probe aufs Exempel: Man versuche, das zu einen #3 umzubauen, in dem statt Matterzwingungszügen Mattzüge verwendet werden. Man lasse etwa a2, a5, c5 weg und ersetzte Kc3 durch einen wB. Die Drohung geht, aber alles andere bei diesem Mechnismus kann offensichtlich (auch abgesehen von Cooks) orthodox nicht funktionieren. Deckt man f5/e6 noch einmal (wLh3), damit die Nowotnys immer mit Matt arbeiten, so entstehen Duale, die in diesem Schema nicht differenziert werden können.

Da könnte man genauso die Meinung vertreten, dass reine weiße Batteriespiele nach Siers-Art zwecks Besserstellung weißer Steine zu orthodox sind (und damit ein gut Teil der MSSN-Selbstmatts). So entstünde im Gegensatz zu 1 z. B. aus 2 ein theoretisch funktionierender orthodoxer Fünfzüger, wenn man Te1, Ld1 streicht und den wK nach h8 versetzt. 'Nur' kann man die Nebenlösungsgefahren wegen der überall möglichen Mattzüge (wie schon 1.Td8/Te5#) orthodox nicht ausschalten. Meine Meinung ist, dass orthodoxe Strategie und Mechanismen, die wegen zuvieler Mattzüge nur im s# realisierbar sind, dort einen anerkannten Platz haben müssen. Ich halte daher diese Aufgabe für ein sehr gutes und ausreichend spezifisches Selbstmatt.

  2 Petko A. Petkow
Schach Aktiv 1994
2. Preis
s#5 (9+11)
1.Se6! [2.Sd6+ c:d6 3.Sc5+ d:c5 4.T:g5+ Kd4 5.Tg4+]
1.- d2 s.Te5+ Kd3 3.Le4+
Ke2 4.Lf3+ Kd3 5.Le2+
L:e2#, 1.- f:e6 2.Td4+ K:f5
3.Le4+ Kg4 4.Lf3+ Kf5
5.Lg4+ L:g4#
Punkt 2 ist ein Gemisch verschiedener Vorschriften, zu denen man viele Fragen stellen kann. Warum soll es nicht ideale moderne strategische Selbstmattmehrzüger mit nur einer Hauptvariante (und auch Kurzdrohungen) geben können? Wieso soll nur der Schlüssel ein schwieriger stiller Zug sein? Für meinen Geschmack sind solche Züge auch später sehr wertvoll (leider ist es schwieriger, Themen zu finden und gestalten, in denen solche vorkommen). Dass Petkow unter 'Dual' etwas anderes versteht, als 99% aller Selbstmattkomponisten der Vergangenheit und Gegenwart, ist schon hinreichend an anderen Orten diskutiert worden. Ich selbst vermeide nach Möglichkeit (nicht nur im s#), dass dieselbe Hauptvariante nach mehreren verschiedenen schwarzen Züge gespielt werden muss. Manchmal möchte man aber gerade das Umgekehrte: Bei fortgesetzten Verteidigungen ist der beliebige Zug eines Steins, nach dem die Sekundärdrohung erfolgt, die Regel, ohne dass das jemand kritisiert; die meisten Verfasser bevorzugen dann sogar mehr als einen 'beliebigen' Zug. Denkt man diese Vorschrift konsequent zu Ende, so wären auch die verschiedenen schwarzen Züge, nach denen die Drohung durchgeht, solche 'Defekte'.

Punkt 3 kann ich voll zustimmen. Aber es ist legitim, wenn jemand eine ältere Aufgabe bei gleichem Schema konstruktiv oder inhaltlich verbessern kann, dass er sie unter 'nach ...' publiziert. Es ist dann am Preisrichter, zu entscheiden, ob der Fortschritt für eine Auszeichnung groß genug ist.

Punkt 4 deckt sich ziemlich mit meinem Geschmack. Aber viele
Komponisten finden diese sportliche Seite der Problemkomposition (zumindest dann und wann) attraktiv. Für sie muss auch ein Platz im modernen strategischen s# reserviert sein.

III. Was mir bei strategischen Selbstmatts besonders erstrebenswert scheint.
1. DAS THEMA SOLLTE SELBSTMATTSPEZIFISCH ODER SELBSTMATTSPEZIFISCH INTERPRETIERT SEIN.
2. DIE AUFGABE SOLL MÖGLICHST ORIGINELL SEIN.
3. A) DIE BEGRÜNDUNG, WESHALB GEWISSE ZÜGE GESPIELT WERDEN, SOLLTE EINERSEITS MÖGLICHST KLAR, ANDERERSEITS MÖGLICHST TIEFSINNIG SEIN. B) THEMA UND LÖSUNG SOLLTEN MÖGLICHST VIELE STRATEGISCH INTERESSANTE, NACH MÖGLICHKEIT STILLE UND SCHWIERIGE ZÜGE ENTHALTEN.
4. NACH REICHHALTIGKEIT DES GESAMTEN INHALTS IST ZU STREBEN.
5. DIE FIGURENBEWEGUNGEN SOLLEN MÖGLICHST DYNAMISCH, FEIN UND ELEGANT SEIN.
6. DER MATERIALAUFWAND SOLLTE DEM INHALT ANGEMESSEN SEIN (ÖKONOMIE). WENIG BESCHÄFTIGTE WEISSE FIGUREN SOLLTEN NICHT VORKOMMEN. NACH EINER MÖGLICHST SPARSAMEN UND AUCH OPTISCH SCHÖNEN STELLUNG IST ZU STREBEN.

Das sind nun keine 'Anforderungen', sondern Wünsche, die selbst bei Meisterwerken in verschiedener Mischung verschieden gut erfüllt sind. Diese Wünsche sind auch nicht selbstmattspezifisch (außer 1.), sondern betreffen alle strategischen Schachprobleme. Außerdem kann z.B. nicht genau definiert werden, wann ein Inhalt reichhaltig ist. Es braucht viel Erfahrung und die Kenntnis früherer Meisterwerke, um bei 1.-6. richtig urteilen zu können.

Die Kompositionen Petkows und spätere Kommentare in seinem Buch zeigen, dass die genannten Punkte auch für ihn sehr wichtig sind (da sind unsere Meinungen wohl nicht auseinander), nur hat er sie beim MIS am Anfang nicht erwähnt.

Meist lassen sich diese Wünsche nicht gleichzeitig erfüllen. Nach meinem Geschmack muss ein s# - Meisterwerk mindestens die Note 'gut' bei den Punkten 1, 2 und 6 erhalten und mindestens ein, besser zwei 'Sehr gut' in einem der Punkte 3.-5. Für Preise in durchschnittlichen Turnieren muss bei mir als Preisrichter 1., 2., 6. mindestens 'noch gut' sein und 'gut' in etwa 2 der restlichen Punkte erreicht werden.

In gewisser Hinsicht sind die Ziele sogar konträr. Tiefe und Reichhaltigkeit (gemessen an der Variantenzahl) gehen selten zusammen: Wenn man Tiefe statt Reichhaltigkeit in den Vordergrund stellen will, so wird man (statt den 2-3 Varianten) verlangen, dass außer dem Schlüssel noch mindestens 1 stiller, schwieriger Zug vorkommen sollte. Damit würde man eher Gamnitzers Stil beschreiben, und viele MIS Selbstmatts wären nicht einschlägig. Ähnlich ist bei einem kraftvollen Inhalt selten eine elegante, optisch schöne Stellung erreichbar.

Die Ziele 4.-6. sind für alle künstlerischen Schachaufgaben wichtig, nicht nur für Selbstmatts, 5. besonders für längere Aufgaben. 3.-4. beschreibt den eher 'strategischen' Stil. Besonders oft wird bei heutigen computergestützt komponierten vielzügigen Selbstmatts gegen 3. und 5. verstoßen: dort gebe ich Note mangelhaft. (Oft kommt nur eine Schachserie mit nicht einem interessanten Zug vor. Da macht dann nicht einmal das Nachspielen der Lösung Spass). Ich habe aber nichts dagegen einzuwenden, wenn man mit dem Computer Aufgaben sucht und findet, die gute Noten verdienen.
Es sollen jetzt noch 3 erstklassige Selbstmatts im Licht dieser Wünsche betrachtet werden.

3 Petko A. Petkow
feenschach 1990
2. Preis
4 Camillo Gamnitzer
feenschach 1999
1. Preis
5 Camillo Gamnitzer
Schach Aktiv 1996
1. Preis
Jürgen Bischoff gewidmet
s#5 (13+10) s#5 (10+12) s#5 (9+8)
1. e8L [2.Sfe6+ K:d5 3.Sc7+ Kd4 4.Sge6+Ke4 5.De1+
T:e1#] 1.- g:f1S 2.Te6+K:d5 3.Te5+ Kd4 4.Te2+ Te5 5.Td2+, 1.- g:f1L 2.Tf7+
K:d5 3.Tg7+ Kd4 4.Tc7+
Te5 5.Tc4+
1.T:c4+? K:c4 2.Se3+ Kb5! Wie beseitigt man das Fluchtfeld b5? 1.Lg1? D:d7! 1.Lh7! [2.Te2+ g6 3.Te3+ S:e3#] g5 2.Lg1 [3.Te3+ Kd4 4.Te2+ Se3#] D:d7 (4.-K:d5!) 3.Lc5! [4.Te2+Df5/D:h7 5.Te3+] Db5 4.T:c4+ K:c4 5.Se3+. 1.Lf2! [2.Sc6+ Kd6 3.Lg3+
Kc5 4.Tb5+] 1.- f5! (3.- f4!)
2.Lg1! [3.S:f5+h:g1~
4.Tb5+] h1L! 3.Dc2+! d:c2 4.Sf3+ Kc4 5.Se5+! Kc3 6.Sd5+ L:d5 7.Tb3+ L:b3#.
2.- Tb8 3.S:f5+ 4.T:b8!,
1.- Tb8? 2.Sc6+ 3.Lg3+ 4.T:b8!, 1.- Th3?/Th4?/h1S? 2.Sf5+!

Den Anfang soll Petkows Meisteraufgabe 3 seines Stils MSSN bilden. Meine Noten sind etwa 1.gut 2.sehr gut 3.noch gut 4.sehr gut 5.sehr gut 6.noch sehr gut. Wieso nur gut bei 1. (Selbstmattspezifik)? Ähnliche Batterietransformationen kommen auch in direkten Mattaufgaben vor. Zu 2.: Das schwarze Spiel ist zwar wenig originell, jedoch macht das ziehharmonikaartige Spiel des weißen Turms nach oben und unten einen sehr originellen Eindruck. Originalität muss nach dem Gesamteindruck beurteilt werden, denn jedes s# enthält heutzutage auch weniger originelle Details. Dieses feine Spiel des wT sorgt auch für mein 'sehr gut' bei 5. 3a) Die Begründung der Manöver ist nicht besonders überraschend; eigentlich werden nur Steine unter Schach auf bessere Felder hingezogen und die Verteidigung durch Schlagen der sD ist kein besonders feinsinniges Motiv. Für 3b) hat man als positive Momente (taktische Komplexiät) die Bivalve-Effekte bei Zügen des wT und die unterschiedliche Behandlung der Unterverwandlungen, also 'noch gut' für 3. Das 'sehr gut' für den Inhaltsreichtum ist offensichtlich. Diese Note würde bei mir sogar ohne die harmonisch passende langzügige Drohung mit weiteren Batterietransformationen erreicht. Zu 6. Offensichtlich sind alle weißen Steine aktiv genutzt und spielen sehr dynamisch. Das Minus ist dem nur in der Drohung aktiven Sf8 zuzuschreiben.

Betrachten wir als nächstes 4.

Noten: 1.sehr gut 2.sehr gut 3.sehr gut 4.gut 5.sehr gut 6.noch sehr gut.
Zu 1: Die s# - Spezifik ist hier überwältigend. Die weißen Züge geschehen oft, nur damit ein bestimmtes Schach kein Matt ist. Wie die sD nach b5 gelenkt wird, ist nur im s# machbar: sie flieht in einen fernen Winkel, damit die Abzüge des wT Matt statt Schach bieten und gerade dort blockiert sie entscheidend den sK. Zu 2: Die hohe Originalität der Vorgänge ist unbestreitbar. Wenn jemand einwendet, dass z.B. ein Pendel eines wL schon oft vorkam, so ist zu sagen, dass es sehr originell begründet ist. 2.Lg1 ist antikritisch und geschieht nur, damit 2.Te3 Schach und nicht Matt bietet, indem das Fluchtfeld d4 entsteht. Die antikritische Rücknahme 3.Lc5 geschieht gerade, um das bei 4.Te2+ D:h7 5.Te3+ störende Fluchtfeld d4 wieder zu nehmen. Zu 3: Sowohl bei a) als auch bei b) sind Bestnoten angebracht. Leichte Abstriche bei Reichhaltigkeit, da mit kurzen Drohungen und nur einer Hauptvariante gearbeitet wird. Leichte Abstriche auch bei Ökonomie, weil Td7 nicht aktiv spielt (aber für das Funktionieren unerläßlich ist).

Meine Noten in Gamnitzers 5 sind 1.sehr gut 2.sehr gut 3.sehr gut 4.gut 5.gut 6.sehr gut.

Zu 1. Ein Zug wie 2.Lg1, um h1L zu erzwingen, ist extrem s# - spezifisch. Zu 2. Zumindest zu Zeit der Publikation war dieses Manöver auch äußerst originell. Originalität hängt natürlich vom historischen Moment ab. Zu 3. Weshalb man 1.- f5 erzwingt, ist ebenso klar wie tief, weil man die Notwendigkeit dazu erst erkennt, wenn man gesehen hat, dass ein sL, der erst auf h1 (auf sehr originelle Weise) entstehen muss, nach b3 zum Matt zu zwingen ist. Gerade heute wird im s# von einigen Preisrichtern wenig auf den Zusammenhang und die Begründung der Manöver geachtet, sie sind mit dem taktischen Gehalt einzelner Züge (Batterieöffnung etc.) zufrieden. Zu 4. Bei der Reichhaltigkeit mache ich leichte Abstriche: 'nur' zwei Abzüge des Batterie-S d4. Das ist vielleicht zu streng, denn man muss den Inhaltsreichtum in Relation zum aufgewendeten Material sehen. Mir gefallen weniger, dafür tiefere Vorgänge besser. Das ist nun mal so bei Problemfreunden, die die Entwicklung der logischen Schule erlebt haben. Zu 5. Das Minus kommt davon, dass die Schlusswendung ab dem 4. Zug nicht mehr so außergewöhnlich ist ('orthodoxes' Lenken einer s Figur durch Schachs). Zu 6. Die Ökonomie ist nicht nur sehr gut, sondern geradezu ein Wunder, wie es auch bei Gamnitzer nur sehr selten vorkommt. Zum Beispiel hat man nicht nur reine Matts, sondern auch, was bei strategischen s# vermutlich eher selten ist, ökonomische Matterzwingungen: in der Drohung ist in der Stellung mit Tb5+ keine weiße Figur entbehrlich. Dasselbe gilt für den Schluss mit Tb3+.

Es gibt nach dem Schlüssel 'nur' einen weiteren weißen stillen Zug, aber was für einen! Ohne ihn wäre die Aufgabe vermutlich eher durchschnittlich, was auch durch zwei parallele Varianten nur wenig wettgemacht würde. Meine Erfahrung ist, dass schon ein stiller weißer Zug nach dem Schlüssel ohne Zugzwang die Qualität der Aufgabe in der Regel mehr als verdoppelt.

Zum Schluss will ich betonen, dass die Anwendung aller meiner Kriterien gegenüber Meisterwerken wie den zitierten beckmesserisch ist; dort zählt der Gesamteindruck des Einmaligen, Unwiederholbaren. Alles Notwendige ist im richtigen Verhältnis vorhanden, und es gibt nichts, was man sich besser wünscht. So ist bei 3 das Batteriespiel so reizvoll, dass der Wunsch nach stillen Zügen nicht aufkommt, oder bei 5 die Lösung so spannend, dass man nicht daran denkt, mehr Batterieabzüge haben zu wollen. Nehmen Sie also meine obige Notengebung nicht zu ernst. Andere würden wahrscheinlich andere Noten verteilen.
Diese Maßstäbe können aber helfen, die Qualität von Aufgaben zu beurteilen und anderen zu zeigen, weshalb man gewisse Aufgaben (darunter viele erste Preise) für doch nicht ganz so ideal hält.

Impressum  Datenschutz
Anschriften: siehe Vorstand
Internetauftritt: Gerd Wilts