Heft 310, August 2021

Kalenderblatt

Mario Camorani (15.9.1912-8.7.1996) war ein vielseitiger italienischer Problemist, der sich als Komponist auf einem weiten Feld vom Zweizüger bis zur Studie und dem Hilfsmatt bewegte. Seit Ende der 1940er Jahre war er auch publizistisch aktiv und führte u. a. die Studienabteilung der Zeitschrift La Scacchiera, später leitete er die Problemspalte in Scacco!. Er verstarb vor einem Vierteljahrhundert.

Der polnische Komponist Wlodzimierz Suchodolski (18.11.1908-5.8.1996) hat in seiner 70 Jahre umfassenden Kompositionstätigkeit mehr als 300 Probleme geschaffen, überwiegend orthodoxe Direktmatts und speziell Dreizüger. Hier ein Beispiel: Auf Schachgebote des schwarzen Turms steht ein Satzmatt parat (1.- Td4+/Te3+ 2.K:T b6 3.f4#), das Weiß aufgeben muss, um eine Drohung aufzustellen: 1.Lh3 [2.Lb6+ Kb8 3.Da7#]. Verteidigt sich Schwarz dagegen mit den Turmschachs, dann schlägt ihn der weiße Läufer 1.- Td4+/Te3 2.L:d4/L:e3+ Kb8 3.Le5/Lf4#, und nach 1.- Td7 2.L:d7 b6 3.Lc6# kommt der andere weiße Läufer doch noch zu seinem Matt auf der großen Diagonale.

Der estnische Journalist Jüri Randviir (28.5.1927-8.8.1996) war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einer der stärksten Schachspieler Estlands und vierfacher Landesmeister. Beruflich arbeitete er für verschiedene Zeitungen seines Landes und produzierte daneben eine Reihe von Schachbüchern und schachbezogene Radio- und Fernsehsendungen. Auch als Problemkomponist war er sehr aktiv, etwa 1000 Kompositionen stammen von ihm. Uns ist er insbesondere als Studienkomponist in Erinnerung, denn in seinen letzten Lebensjahren schickte er seine Aufgaben auch regelmäßig an die Schwalbe.

Etwa 350 Probleme, von denen viele in Turnieren ausgezeichnet wurden, komponierte der ukrainische Komponist Alexandr Motschalkin (29.1.1951-11.8.1996). Seine Spezialität waren Zweizüger mit Funktionswechselthematik, und er war einer der ersten, der der zweifachen Widerlegung von Verführungen Beachtung schenkte; hier arbeitet er mit Doppeldrohungen 1.h8D? [2.Se6,S:f5#] 1.- T:d5/S:d5 2.S:e2/S:b5#, aber 1.- Sf6!; 1.Db3! [2.S:e2,S:b5#] 1.- T:d5/S:d5 2.Se6/S:f5#.

Frank Visbeen (2.3.1937-12.8.1996) war durch und durch Kulturmensch. Seine berufliche Karriere begann er 1959 als Journalist bei der Zeitung Haagsche Courant, danach arbeitete er von 1964 bis 1969 für das Rotterdams Nieuwsblad, für das er über Kunst und Kultur schrieb. Seit 1968 engagierte er sich in der Rotterdamer Filmliga, bald danach arbeitete er für die Rotterdamer Kunststiftung und befasste sich auch dort mit der Filmkunst. Während dieser Phase entstand die Idee eines Filmfestivals, an dessen Konzept und Realisierung er und A. van der Staay maßgeblich beteiligt waren. So entstand das Internationale Filmfestival Rotterdam, das in diesem Jahr sein 50jähriges Jubiläum feiern kann und sich zum größten niederländischen Filmfestival entwickelt hat. Daneben war Visbeen ein engagierter Problemist. Sich selbst bezeichnete er als einen "anständigen" Löser, der gelegentlich auch mal ein Problem komponiert. Wie bescheiden seine Charakterisierung war, zeigen seine Ergebnisse: Bei sechs Teilnahmen an der Löse-Weltmeisterschaft erreichte er 1982 einen 3. und 1991 einen 5. Platz. Von 1978 bis 1988 war er ein Jahrzehnt lang Schriftleiter des Probleemblad. Bald danach verließ er die Niederlande und zog nach Portugal, wo er die letzten Lebensjahre vor seinem viel zu frühen Tod verbrachte. Dort verfasste er noch ein Manuskript mit dem Titel Afscheid - Vijftig schaakcomposities en hun avonturen, das zunächst unveröffentlicht blieb. Nach seinem Tod kümmerte sich unsere niederländische Schwesterorganisation um dieses Manuskript und fertigte eine sorgfältige, den Stil des Autors treffende englische Übersetzung an, die 2008 unter dem Titel Moving on - Fifty chess compositions and their adventures erschien.

Frank Visbeen
Hans Peter Rehm

Die Schwalbe 1994

1. ehrende Erwähnung

ßKc1,

-1s, dann Ser-h#10
b) sKc1 → f8(6+1)

Am Ende des Buchs ist ein Schema für eine Komposition angegeben (Gitterschach, sKa4, sBb5h6; Schwarz nimmt einen Zug zurück, dann Serienzug-h#10; b) sK auf dem Mattfeld von a)). Kern der Idee, an der der Autor schon seit 1987 erfolglos gearbeitet hatte, war, den König in a) auf dem Feld mattsetzen zu lassen, von dem er in b) startet, und umgekehrt. Als dann das Hans-Peter-Rehm-50-JT ausgeschrieben wurde, in dem Gemeinschaftsaufgaben mit dem Jubilar verlangt wurden, konnte Visbeen HPR überzeugen, sich in dieser Sache zu engagieren, und heraus kam die hier gezeigte Coproduktion: a) Zurück Kb1:Lc1 und dann vorwärts 1.Kc2 2.Kc3 3.K:d2 4.Ke2 5.Kf3 6.Kg4 7.Kf5 8.Kg6 9.Kg7 10.Kf8 Lh6#, und b) Zurück Kg7:Tf8 nebst vorwärts 1.K:f7 2.Ke6 3.Kd7 4.Kc6 5.Kb5 6.Kb4 7.Kc3 8.Kc2 9.Kb1 10.Kc1 Tf1#.

Rud Prytz

Skakbladet 1927

1. Preis

wKa2, wTc4h6, wLh7, wSa3c5, wBa5b4c2d2f4, sKd5, sTg2, sLg8h4, sSg5, sBa7e4f2f5

#3 (11+9)

Vor einem halben Jahrhundert verstarb der dänische Komponist Rudolf (Rud) Prytz (7.12.1899-23.8.1971), der etwa 400 Probleme komponierte, darunter viele Selbstmatts. 1936 veröffentlichte er im Jahrbuch der dänischen Problemvereinigung einen Artikel unter dem Titel "Kunstlovene" (Kunstgesetze), den Walter Jorgensen 1976 in seinem Sammelband Danske skakopgaver og artikler erneut publizierte. Meine Dänisch-Kenntnisse reichen nicht aus, den Artikel im Detail zu verstehen, aber selbstverständlich werden die Bergerschen Kunstgesetze verworfen und der freie, verantwortliche Umgang mit einigen wesentlichen Erfordernissen propagiert. Beruhigend ist schon das vorangestellte Motto: Alles ist erlaubt, nur das Langweilige nicht. Das trifft auch zu auf seinen Preisträger aus 1927: 1.Ta6 [2.L:g8+] 1.- Lf7 2.Sb7 [3.Td6#] (2.- Sf7??), 1.- Le6 2.Sb3 [3.Tc5#] (2.- Se6??), 1.- Sf7 2.Se6 [3.Sc7#] (2.- Se6??) und 1.- Se6 2.Td4+ K:d4 (ohne Schachgebot) 3.Td6# (3.- Ld5??).

Zum 125. Geburtstag von Franz Ferdinand Ludwig Palatz (18.7.1896-1945) erschien in Heft 301 eine Kalenderblatt-Notiz. Jetzt ist an den nicht näher bekannten 75. Todestag dieses bedeutenden Problemtheoretikers, der Ende des 2. Weltkriegs als in Ostpreußen verschollen galt, zu erinnern.

Wouter Mees

Tijdschrift 1942

ehrende Erwähnung im TT

wKc4, wSd7, wBa7h2, sKf4, sSa2, sBe2g7

Gewinn (4+4)

Vor 100 Jahren wurde Wouter J. G. Mees (6.8.1921-25.1.2018) in Arnhem geboren. Er studierte chemische Verfahrenstechnik in Delft und arbeitete dann bis 1983 in der Forschungsabteilung und in der Qualitätskontrolle bei Hoogovens, dem niederländischen Stahlkonzern, der seit 1938 als Sponsor hochkarätiger Schachturniere bekannt ist. Dies wird aber wohl kaum Einfluss auf Mees' schachliche Entwicklung gehabt haben, denn seine ersten Studien publizierte er schon im Alter von 18 Jahren. Neben Jan Marwitz und Harold van der Heijden muss man ihn zu den erfolgreichsten und produktivsten niederländischen Studienkomponisten rechnen. Die nachfolgende Studie erhielt im Turnier nur eine ehrende Erwähnung - angeblich, weil es Unstimmigkeiten über das Thema gab. 1.Se5 Sb4 1.- Sc1 2.Sf3 K:f3 3.a8D+ und jetzt A) 3.- Kf2 4.Da7+ Kf3 (4.- Kf1 5.Df7+ Kg1 6.D:g7+) 5.Da5 Kf2 6.Dd2, oder B) 3.- Ke3 4.Da5 B1) 4.- Kf2 5.Df5+ Ke1 (5.- Kg2 6.Dg5+) 6.Kc3 bzw. B2) 4.- Sd3 5.Dg5+ Sf4 (5.- Kf3/Ke4 6.Dg3+/Dg6+) 6.Dg3+. 2.Sf3 Sd5 3.Se1 Sc7 4.Kc5 Sa8 5.Kc6 Ke5 6.Sc2 6.Sg2? g5! 6.- g6 7.h3 Ke6 7.- Ke4 8.Kb7 8.Sd4+ und gewinnt. Diese Studie existiert in zwei Fassungen: Ursprünglich stand noch ein weißer Bauer auf b4, da der Autor annahm, dass Schwarz nach 1.- Sc1 das Remis sichern könnte; nur für sie gilt die hier kursiv gesetzte Variante. Erst später fand er den Gewinnweg mit Da5 und favorisierte dann die achtsteinige Fassung (EBUR, März 1995).

Joseph C. J. Wainwright

The Wanderer 1886

1. Preis

wKc1, wDf3, wTb1f2, wLa3, wSb8, wBe2h2, sKa2, sTh3h8, sLh7, sBc4d4e4h4

#2 (8+8)

William John Wainwright (1855-1931) aus Birmingham war ein bekannter englischer Maler, der der Royal Birmingham Society of Artists angehörte und 1928 in deren Räumen als erster Künstler eine Einzelausstellung seiner Werke bekam. Hier geht es aber um seinen in die USA ausgewanderten Bruder Joseph C. J. Wainwright (10.12.1851-12.7.1921), dessen künstlerische Ausdrucksmittel die Schachfiguren wurden. Seit den frühen 1880er Jahren komponierte er originelle und elegante Zwei- und Dreizüger (erstes Diagr., 1.Lb4 [2.e3#] 1.- T:h2/T:f3 2.Da3/e:f3#; 1.- e:f3/e3 2.e4/Da8#; 1.- d3/c3 2.e:d3/Df7#).

Joseph C. J. Wainwright

Les Tours de Force
sur l'Echiquier 1906

wKg7, wDc4, wTe8g1, wLd6, wBa4b4h4, sKf5, sDa5, sLb1c7, sSh8, sBf4f7g4g5

#2 (8+9)

Um 1903 - in einer anderen Weltecke wurde gerade die neudeutsche Schule gegründet - setzte auch Wainwright eine bedeutende Entwicklung in Gang, als er sich bei seinen Untersuchungen von Zweizügertasks mit den möglichen 12 Matts der weißen Dame beschäftigte, deren Ergebnisse 1906 in einem 40seitigen Artikel in A. C. Whites Task-Buch Les Tours de Force sur l'Echiquier veröffentlicht wurden (daraus das andere Diagramm mit dem guten Schlüssel 1.Tg3!). Dies verschaffte dem damals nicht besonders hoch geschätzten Zweizüger einen bedeutenden Anstoß, der allmählich dazu führte, dass sich die Komponisten mit komplexeren Kombinationen beschäftigten, eine Entwicklung, die ein Jahrzehnt später im Good Companions Club einen ersten Höhepunkt fand.

Max Friedrich Wilhelm Bezzel (4.2.1824-30.7.1871) war Sohn eines fränkischen Pfarrers und wäre gern Mathematiker geworden, doch ihm wurde dringend abgeraten, weil es dafür in Bayern keine berufliche Perspektive gab. So studierte er Jura und befasste sich als Autodidakt mit dem Schachspiel. Abgesehen von einem Besuch in Wien, wo er spektakuläre Erfolge feiern konnte, hatte er kaum Spielpraxis und beschäftigte sich mit Problemschach. 1848 veröffentlichte er in der Berliner Schachzeitung das berühmte 8-Damen-Problem. Diese sollten so auf dem Schachbrett positioniert werden, dass keine von einer anderen angegriffen ist. Gefragt wurde auch nach der Anzahl der Lösungen (92), später auch nach Verallgemeinerungen auf dem n x n-Brett - ein Problem, das viele Mathematiker, einschließlich C. F. Gauß, beschäftig(t)en.

Carel Mann

Tijdschrift 1913

wKb8, wLh8, wBg7, sKh2, sBc2e7

Gewinn (3+3)

Carel Christiaan Wilhelm Mann (23.7.1871-30.11.1928) war der erste niederländische Studienkomponist von internationaler Bedeutung. Mit 16 Jahren brach er seine Schulbildung ab und begann eine Ausbildung bei einem Blumenhändler. Als ihm dort statt der erhofften züchterischen Experimente schwere körperliche Arbeit abverlangt wurde, beendete er diesen Weg und wurde Gehilfe in der Metzgerei seines Bruders. Als er 1892 Mitglied des Amsterdamer Schachclubs wurde, war er schon als Problemkomponist bekannt, aber erst 1911 publizierte er seine erste Studie, der in seiner produktiven Phase bis Mitte der 1920er Jahre viele weitere folgten. Danach machte sich immer stärker bemerkbar, dass er an paranoider Schizophrenie litt, und sein Leben endete in psychiatrischen Anstalten. Jan van Reek und Henk van Donk haben ihm mit ihrem 1991 erschienenen Buch Carel Mann ein Denkmal errichtet. Daraus ein Damenendspiel, das durch die große Anzahl stiller Züge in einer offenen Stellung beeindruckt. 1.g8D c1D 2.Le5+ Kh1 3.Da2 Dh6. Der beste Zug gegen die Mattdrohung auf h2. Nach 3.- Kg1 4.Dh2+ geht die schwarze Dame verloren, ebenso nach 3.- Dg1 4.Dd5+ 5.Dd1+ 6.Df3+ 7.Dh5+ Kg1 8.Ld4+. 4.Df2! Droht Matt auf f1 und verhindert 4.- Db6+. 4.- Dh3 5.De2! Hierdurch gewinnt Weiß ein Tempo. Schwarz ist verloren, wenn er zu einem nicht schachbietenden Zug gezwungen werden kann, z. B. A) 5.- Kg1 6.Ld4+ Kh1 7.De1+ Kg2 8.Df2+ Kh1 9.Dg1# oder B) 5.- Dg2 6.Dd1+ Dg1 7.Df3+ Dg2 8.Dh5+ Kg1 9.Ld4+ nebst Matt oder Damengewinn. Spielt Schwarz 5.- e6, dann ist nach 6.Kc8 die Tempogewinnstellung erreicht, denn Schwarz steht jetzt kein Schachgebot mehr zur Verfügung, wonach er nach einer der Spielweisen A) oder B) verliert. Also bleibt ihm nur 5.- Db3+ 6.Kc7 Dh3. Oder 6.- Kg1 7.Ld4+ Kh1 8.Df1+ Kh2 9.Le5+ mit Damenverlust. 7.Kd8 e6 8.Kc8. Das Tempo ist gewonnen, jetzt muss eine der Varianten A oder B folgen.

Auf Domenico Lorenzo Ponzianis (9.11.1719-15.7.1796) 300. Geburtstag wurde im Heft 300 (Dezember 2019) hingewiesen, jetzt jährt sich zum 225. Mal der Todestag dieses Mitbegründers der Modenaer Schule.

(GüBü)


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