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Heft 226, August 2007

Kalenderblatt

Der finnische Komponist Edvard af Hällström (1.1.1878-14.7.1957) verstarb vor 50 Jahren. Seine etwa 600 Kompositionen umfassen hauptsächlich Studien sowie Drei- und Mehrzüger, sowohl im direkten als auch im Selbstmatt. – An zwei vor 100 Jahren geborene ungarische Komponisten sei erinnert. Lörinc Bata (10.8.1907-1991) konnte insbesondere bei Zwei- und Dreizügern einige schöne Turniererfolge erzielen. Seine 1 zeigt eine Verbindung von zyklischen und reziproken Matts nach fortgesetzter Verteidigung.

1 Lörinc Bata
U.S. Problem Bulletin 1964
1. Preis
2 Sandor Boros
Tijdschrift KNSB 1933
1. Preis
3 Andre Caresmel
Themes-64 1963
!. Preis
Camil Seneca gewidmet
#2 (11+8) #2 (10+10) #2
b) Nach dem Schlüssel
(9+7)

Nach 1.Da5! liegt Zugzwang vor. Alle vier sFiguren zeigen fortgesetzte Verteidigung: 1.- T~ 2.Sc6# A, 1.- T:e5 2.Db4# B; 1.- Sf~ 2.Db4# B, 1.- Sd5 2.S:e2# C, 1.- Sc~ 2.S:e2# C, 1.- S:d3 2.Sc6# A und 1.- L~ 2.Db4# B, 1.- L:d3 2.Sc6# A. Als Bata um 1940 mit der Komposition begann, ging die Kompositionskarriere des drei Wochen jüngeren Sandor Boros (31.8.1907-1944) schon fast zu Ende. Boros, der aus der ungarischen Arbeiterschachbewegung kam, war in den dreißiger Jahren recht erfolgreich. Er hat sich intensiv mit Fesselungsmechanismen beschäftigt; 2 ist ein Beispiel dazu: 1.S:e2! [2.Te5#] 1.- Sg4/Sf3 2.Se:g3/Sf:g3#, 1.- Ld6/Lc5 2.S:d6/S:c3#, 1.- Tc5 2.Sd6#.
Auch Andre Caresmel (28.5.1907-2.12.1975) kam recht spät zum Problemschach. Erst nach Ende des 2. Weltkriegs mit dem Schach in Berührung gekommen, veröffentlichte er 1953 sein erstes Problem und trat bald danach in die französische Problemistenvereinigung ein. Anfang der 60er Jahre wurde er deren Vizepräsident, was er dann bis zu seinem Tod blieb. Seine 3 ist ein Perpetuum mobile: a) Satz: 1.- Sb~ 2.Dc4#, 1.- Sd5 2.Df5#, 1.- e:d6 e:d6#, 1.- Sf6 2.e:f6#. Nach 1.Db7! befindet sich Schwarz wieder in einer Zugzwangsituation und wird durch einen kompletten Satz neuer Matts erlegt: 1.- Sb~ 2,Db3#, 1.- Sd5 2.Dd7#, 1.- e:d6 2.Df7 und 1.- Sf6 2.T:e7# (b) 1.De4 usw.). – Vor 100 Jahren wurde am 19. Juli auch Max Rieger, der 1963 den Münchner Problemkreis ins Leben rief, geboren. Seltsamerweise konnte ich sein Todesdatum nicht herausfinden, doch er war 1988 beim 25-jährigen mpk-Jubiläums-Gipfeltreffen auf dem Wendelstein noch dabei. – Zum Abschluss ist an den 175. Geburtstag eines ganz Großen zu erinnern: Dr. Max Lange (7.8.1832-8.12.1899) war eine der herausragenden Schachpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Bereits als Schüler gründete er 1849 in Magdeburg einen Gymnasiasten-Schachclub. Die Leipziger Schachgesellschaft "Augustea" zählte ihn ebenso zu ihren Gründern wie später (1862) der Westdeutsche Schachbund und 1868 der Norddeutsche Schachbund. Lange, der sowohl in Rechtswissenschaften als auch in Philosophie promovierte, war von Beruf Verleger. Seine Vielseitigkeit wird durch eine Aufzählung seiner Tätigkeiten deutlich. 1858 übernahm er die Schriftleitung der Schachzeitung von Jean Dufresne, 1862 gewann er in Düsseldorf das erste deutsche Schachturnier, von 1894-98 war er Präsident des Deutschen Schachbunds. Sein 1862 erschienenes Handbuch der Schachaufgaben war für Problemisten ein ebenso grundlegendes Werk wie es sein Lehrbuch des Schachspiels (1865) für den Partiespieler war – beide Titel sind heute begehrte Sammlerobjekte. Last not least gilt er auch als der geistige Vater des Hilfsmatts, das er 1854 in der Schachleitung erstmals als Idee formulierte. (GüBü)

Schwalbe-Urgestein entdeckt !


Was eine Unterlassung - hier die vergessene Einbeziehung unserer Seniormitglieder in die diesjährige Jubilarliste – doch für phantastische Nebenwirkungen haben kann! Über Francisco Benkö aus Buenos Aires wusste ich bisher nur, dass er 1910 als Franz Benkö in Berlin geboren wurde und schon seit langem als ältestes Schwalbe-Mitglied geführt wird. Den Schwalbe-Unterlagen konnten weder ein Eintrittsdatum noch andere Angaben zur Person entnommen werden. Es war daher eine große Überraschung, als mich Ende Juni eine E-Mail von ihm selbst erreichte, in der er das Ausbleiben des in den letzten Jahren regelmäßig erschienenen Geburtstagsgrußes in einer äußerst vitalen sarkastischen Interpretation als Hinweis auf sein Ableben umdeutete.

Seine hinzugefügte Bemerkung, dass er Dr. Birgfeld noch gekannt habe, machte mich neugierig auf weitere Informationen aus erster Hand aus einer Zeit, die heute eigentlich schon längst als den Historikern überlassen angesehen wird. Die umfangreiche Mail, mit der Benkö daraufhin antwortete, ist ein spannendes schachhistorisches Dokument und soll deshalb nachfolgend im wesentlichen unverändert wiedergegeben werden; er schreibt:
Meine Schwalben-Mitgliedschaft datiert vom Jahre 1928, kurz nachdem ich Voll-Waise wurde. In diesem Jahre erschien die erste Nummer der Schwalbe-Neue Folge und ich habe die Schwalben-Nummern bis zum Jahre 1936, dem Jahre meiner Auswanderung nach Argentinien, gebunden mitgenommen. Auch besitze ich die ersten Nummern der Schwalbe, die mit Funkschach und Deutsches Wochenschach gekoppelt waren. Die Jahre 1924-5 komplett und vom Jahre 1927 bis zu einem Ergänzungsheft im April 1928. Alles gebunden. Es würde mich interessieren, ob etwas davon den Krieg überlebt hat und im Besitz der Schwalbe ist.

Dr. Eduard Birgfeld
Sammler 1918
s#4 (11+7)
Ich erinnere mich noch heute, dass Dr. Birgfeld, ein sehr sympathischer Herr, der in Meißen wohnte, mehrmals zu einem Schwalben-Abend nach Berlin kam. Besonders erinnere ich mich, als er einmal seinen berühmten Selbstmatt-Vierzüger mit dem Rundlauf des weißen Königs zeigte. Ich glaube, dieses Problem ist im Buch Fata-Morgana nachgedruckt, ein Buch, das ich ich nie zu Gesicht bekommen habe und gerne gekauft hätte. Ich habe dieses Problem in meiner Samlung, die fast 30.000 Probleme aller Art umfasst.

Ferner war ich ein guter Freund von Erich Zepler, diesem Genie, der in meiner Nähe in Berlin-Schmargendorf wohnte. Ich kann mich noch heute an meinen letzten Besuch bei ihm erinnern, es war im Jahre 1935, als er mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitteilte, dass er in allernächster Zeit nach England auswandere.

Ein großer Jugendfreund von mir war Heidenfeld, der nach Süd-Afrika auswanderte. Wir waren beide junge Klub-Mitglieder in Berlin-Wilmersdorf und gaben kurze Zeit eine maschinen-geschriebene Zeitung Der Patzer heraus. Er war jedenfalls der größere Kopf bei diesem Unternehmen. Ich erinnere mich auch an Dr. Keidanski (Keidanz), den ich zum Schluss zweimal im Irrenhaus bei Berlin besuchte. Er erklärte mir damals, dass sein Leiden auf den großen Schmerzen beruhte, die er durch eine Blasen-Krankheit erlitt. Dr. Keidanski war unter dem Namen Keidanz viele Jahre in Amerika, wo er im Jahre 1927 das Buch The Chess-Compositions of E. B. Cook of Hoboken mit 650 Kompositionen herausgab.

Ich kannte auch Dr. A. Kraemer mit seinem Schmiss im Gesicht aus seiner Studentenzeit, J. Koers, B. Sommer, R. Steinweg, Schildberg und andere. Als Spieler kannte ich Carl Ahues, Kurt Richter, Willi Schlage, gegen die ich immer verlor. Nur gegen Fritz Sämisch gelangen mir 3 Siege in 3 Partien.
Im Jahre 1935 war ich in Berlin der erste jüdische Schachmeister. In diesem Jahre gab J. Mieses (geb. 1865) eine Simultan Vorstellung im jüdischen Schachklub. In meiner Unverfrorenheit bat ich ihn, ob er mir erlaube, blind zu spielen. Er erlaubte es mir und ich gewann. Für mich unvergesslich.

Vielleicht ist Folgendes interessant: Im Jahre 1939 war Aljechin in Buenos Aires. Ich kannte ihn aus Berlin, da ich in den Jahren 1928 und 1929 gegen ihn in Berlin im Simultanspiel aufgetreten bin und beide Male unentschieden erreichen konnte. Aber in Buenos Aires sind wir uns näher gekommen und da erinnere ich mich an Folgendes: Ich spielte die Argentinische Meisterschaft in meinem Schach-Klub, den Aljechin nach der Olympiade oft besuchte. Und einmal zeigte ich ihm viele meiner Probleme, die er alle, an einem Tisch sitzend, perfekt löste, sogar Retros, während ich meine Partie spielte.

Zum Schluss noch eine Bitte: Im Jahre 1950 veröffentlichte ich im British Chess Magazine einen Dreizüger, der bis heute mein Liebling ist. Würden Sie ihn in der Schwalbe nachdrucken? Im Jahre 1950 gingen in B.C.M. über 500 Lösungen aus aller Welt ein, von denen die Hälfte falsch waren. Im Jahre 1992 war M. Tal in Buenos Aires und ich zeigte ihm dieses Problem. Er irrte sich zweimal, dann wurde er ernst und fand die Lösung. Stellen Sie sich vor, wie stolz ich war. Ich wage nicht, Ihnen die Lösung mitzuteilen ...

Francisco Benkö
British Chess Magazine 1950
#3 (6+5)
Soweit Benkös Mail, die mich genau an dem Tag erreichte, an dem ich zuvor die Besprechung von Harrie Grondijs' neuem Buch niedergeschrieben hatte. Beides bezieht sich mehr oder weniger auf gleichzeitige Ereignisse aus den 30er Jahren, aber welch ein Unterschied ergibt sich daraus, dass uns hier die Information aus erster Hand erreicht und unmittelbar aus dem eigenen Erleben kommt, während das Jan Fischer-Buch das Ergebnis historischer Nachforschungen und Auswertung ist!

Neugierig geworden, versuchte ich, im Internet weitere Informationen über unseren Jubilar zu finden. Nach Eingabe seines Namens liefert Google (Achtung: nicht mit dem US-ungarischen Großmeister Pal Benkö verwechseln!) eine Fülle von Fundstellen, die Benkös bedeutende Stellung im argentinischen Schach belegen – noch als 92-Jähriger qualifizierte er sich für die Endrunde der argentinischen Meisterschaft! Da es hier aber zu weit führen würde, darauf detailliert einzugehen, soll dies für Interessierte nur eine Anregung zu eigenen weiteren Recherchen sein.

Hans-Heinrich Schmilz war 1932 der Schwalbe beigetreten und galt lange als "dienstältestes" Mitglied, was auch mehrfach in der Zeitschrift behauptet wurde, z. B. anlässlich seines 80. Geburtstags in Heft 157 (Febr. 1996). Nach seinem Tod im Jahr 2000 war wegen unvollständiger Unterlagen nicht ganz klar, wem diese Rolle nun zukam – und jetzt, nach diesem unerwarteten "direkten Zugriff' zu den Kindertagen der Schwalbe, stellt sich heraus, dass HHS in Wirklichkeit nie ältestes Mitglied war. Und so wünschen wir unserem Jubilar Franz/Francisco Benkö, dass er diese sicher schon seit vielen Jahren "heimlich" eingenommene Position noch lange besetzen möge. (GüBü)

Leserzuschrift

Zu F. Fiedler "Publikumswirksame Schachaufgaben", Schwalbe Juni 2007, S.132 ff. erreichte uns die folgende Zuschrift von Günther Weeth:
"Der Autor legt den Finger auf eine Wunde, deren Heilung ungewiss erscheint. Er zeigt sehr deutlich auf, dass in den letzten Jahrzehnten ein "Problem im Problem" sichtbar geworden ist. Die hypermodernen, hochgezüchteten Werke aus der Zweizüger- und Dreizügerszene nicht selten auch solche, die im Vierzüger (Zyklen!) geballte Modethematik bieten bestechen einerseits durch ihren unglaublich komplizierten, technisch auf allerhöchster Ebene realisierten Inhalt. Andererseits entfernen sie sich dort, wo es um reichlich akademische Inhalte geht, immer mehr von der Gedankenwelt jener Problemfreunde, die sich einst von den historischen Persönlichkeiten zum Lösen und Nachspielen animieren ließen. Viele Löser gehen einfach unter in dem hochverdichteten Beziehungsgeflecht der modernen Phasen und Zyklen. Selbst bei den WLK und SLK wird der Durchblick zunehmend schwieriger! Was bei den Buchstabenthemen mittlerweile an Artistik geboten wird, verdient die uneingeschränkte Bewunderung aller Problemisten. Niemand wird ernsthaft die Berechtigung ihrer hohen Auszeichnungen in Zweifel ziehen.

Doch wie ein berufener Vertreter der Großmeistergilde Herbert Ahues vor einiger Zeit in einer Replik auf meinen (zu provokativen?) Einwurf im Problem-Forum ("Wortmeldung eines Hinterbänklers") bestätigte, laufen Autoren und Preisrichter zunehmend Gefahr, dem Gebot der Publikumswirksamkeit zu wenig Beachtung zu schenken. Fiedler hat bestimmt Recht, wenn er auch für das Märchen- und Retroschach feststellt, dass nur noch Insider die graduellen Fortschritte erkennen. Doch scheint mir dies angesichts des ohnehin stark esoterischen Charakters dieser Genres weniger störend zu sein als es beim orthodoxen direkten Schachproblem der Fall ist.

Indem sich Fiedler zu seinem Jubiläumsturnier speziell Aufgaben wünscht, die sich nicht an Modetrends sondern bewusst an jenen zeitlos gültigen Kriterien orientieren, wie sie einem Loyd zur Richtschnur seines Schaffens dienten, erfüllt er einen Herzenswunsch nicht nur des Schreibers dieser Zeilen!

Unser Motto muss lauten: Nicht Moderne gegen Klassik, sondern ein ausgewogenes Nebeneinander, auch in Informalturnieren. Dort sollen die modernen Werke in quantitativer Hinsicht durchaus dominieren. Eine gewisse Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Betrachter, die bei Wladimirow, Kiss, Lacny "normal" oder "verzögert", bei le Grand in Verbindung mit was weiß ich noch allem schlicht überfordert sind, ist ja kaum ein Zugeständnis an Ignoranten. Es würde wohl keinem der beiden Protagonisten des Anticirce Proca (Dittmann und Wenda) je in den Sinn kommen, diese spezielle Aufgabenform einem breiten Publikum zuzumuten.

Im orthodoxen Bereich haben auch die Vertreter der modernen Themen eine Verpflichtung gegenüber jenen, die von der Zeitung her zum Schachproblem gekommen sind. Gvozdijak hat ganz unverblümt fetsgestellt, dass der moderne Zweizüger nicht für den Löser gemacht wird. Wie wahr, man sieht es – ohne die geringste Ahnung vom hochkarätigen virtuellen Inhalt haben zu müssen –, alleine schon an der hohen Anzahl kümmerlicher Schlüsselzüge, die selbst bei Preisträgern toleriert werden (müssen!).

Man kann es freilich nicht allen recht machen. Doch ein wenig mehr Anerkennung für "klassisch" gestrickte Aufgaben würde uns allen gut tun. Ich spreche – wie alle Leser leicht nachvollziehen können – nicht "pro domo".
Problemfreund Fiedler wünsche ich zu seinem Turnier einen ganz großen Erfolg. Vielleicht sollte man die Einsendefrist noch etwas flexibler gestalten. Wer erst heute an die Komposition eines guten Urdrucks im Sinne dieses Turniers geht, kommt u.U. in Zeitnot.
Stuttgart, den 17. Juni 2007

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